Start Specials Konzertberichte Tourtagebuch: PARK+RIOT auf Tour in Israel

Tourtagebuch: PARK+RIOT auf Tour in Israel

"Es stellte sich heraus, dass in der Zeit unseres Konzerts ca. 400 Meter weiter die Autobahn mit brennenden Barrikaden blockiert wurde und gerade eine der größten Demos der Landesgeschichte stattfand."

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Wir (Park+Riot) haben Max von AWAY FROM LIFE bei einem Konzert in Hamburg mit dessen Band Christmas kennengelernt. Beim gemeinsamen Sleepover zu sechst in einem 10qm Zimmer haben wir uns Tourstorys erzählt und erwähnt, dass wir demnächst auf Israeltour gehen. Max schlug vor, dass wir doch dazu gerne einen Gastbeitrag für AFL schreiben können.

Park+Riot sind Michi (Gitarre/Vocals) und Sammy (Drums/Vocals). Als Duo spielen wir eine Mischung aus Hardcore, Math und Sludge. Nachdem wir im letzten Jahr für NEEZ, eine befreundete israelische Band, einen Gig in Deutschland organisiert haben, wurden wir eingeladen eine kurze Tour in Israel zu spielen. Konzerte spielen und reisen kann man nie genug, also nahmen wir das Angebot natürlich an.

Zunächst musste Michi’s Setup aus zwei Gitarrenverstärkern, einem Bassverstärker und einem Quadratmeter Pedalboard auf Reisegepäckgröße geschrumpft werden. Diesen Job übernahm nach einigen Stunden Programmierarbeit ein Helix von Line6. Die Gitarre wurde auseinander geschraubt und in Einzelteilen zusammen mit Becken und Kabeln auf diverse Handgepäckstücke und ein Bassdrumcase aufgeteilt.

Zwei Rucksäcke, ein Rollkoffer und ein Bassdrumcase statt eines vollgepackten Sprinterkofferraums. Touren mit Öffis ist möglich, allerdings auch eine Menge Schlepperei. Das wurde uns spätestens nach den 200m vom Fernbusbahnhof in Berlin zur nächsten U-Bahn Haltestelle bewusst. Nach lustigen Fragen am Flughafen („Wo ist der Hals von der Gitarre?“) sind wir am 21. März gut in Tel Aviv angekommen und wurden von Freunden abgeholt.
Dass die Tour zu einem politisch relativ spannenden Zeitpunkt stattfindet, war uns bewusst, jedoch nicht in dem Ausmaß. Uns wurde mehrfach gratuliert gerade noch zum richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein, bevor es nicht mehr möglich sei. Die Anspannung, dass möglicherweise die Demokratie in Israel nicht mehr lange existieren könnte, der zynische Umgang unserer israelischen Bekannten damit, wie auch deren ernsthafte Überlegung das Land möglicherweise irgendwann verlassen zu müssen waren omnipräsent.

Zur Einordnung: Die israelische Regierung plant eine Justizreform, die den Einfluss des Parlaments gegenüber dem Höchsten Gericht deutlich steigert und damit die demokratische Gewaltenteilung in Israel gefährdet. Während unseres Aufenthalt in Israels wurde außerdem entschieden, zusätzlich zu Polizei und Militär eine Nationalgarde einzurichten. Diese soll dem Minister für Nationale Sicherheit unterstellt werden (aktuell ein Vertreter einer rechtsextremen Partei). Hier steht die Befürchtung, dass die Nationalgarde auch gegen regierungskritische Demonstranten eingesetzt werden könnte.

Unsere erste Show haben wir am 23. März in Jerusalem gespielt. Wir mussten die Route von Tel Aviv aus so wählen, dass wir nicht in den Demonstrationen gegen die Justizreform und möglichen Ausschreitungen stecken bleiben. Bis zum Soundcheck war noch Zeit für eine fixe Runde durch die Altstadt mit Klagemauer und Tempelberg.

Wir konnten die Backline des Clubs nutzen. Unsere digitale Lösung hat sich dabei als guter Kompromiss rausgestellt, um unseren Sound auch mit für Hardcore untypischen Verstärkern umzusetzen. Die Show war mittelmäßig besucht, aber die Stimmung war gut. Nach der Show war es auffällig wie leer die Straßen in der Jerusalemer Innenstadt waren. In Israel ist Donnerstag der Tag, an dem üblicherweise die meisten Leute ausgehen.
Die nächsten zwei Tage haben wir Konzerte in Haifa gespielt, die eine ganz andere Hausnummer waren. Es wurde getanzt, es gab Stage-Dives und Michi wurde während dem Konzert von einem alten Mann ein Geldschein an die verschwitzte Stirn geklebt. Es war surreal als Band aus Deutschland in Israel so etwas zu erleben!
Der Tourabschluss nach vier Konzerten war in Tel Aviv am 26. März geplant. Die Venue in Tel Aviv war ein Theater und nach einem ausgiebigen Soundcheck, konnten wir noch drei Stunden in der Stadt verbringen, da im Nachbarraum noch ein Stück aufgeführt wurde. Das Konzert war intensiv, Leute haben konkret nach Liedern gefragt, die wir spielen sollten. Für eine kleine Undergroundband wie uns, die bis jetzt eine EP veröffentlicht hat, nichts Alltägliches!

Nach dem Konzert wollten wir noch mit den anderen Bands feiern gehen. Doch als wir aus der Venue kamen, hat es auf der Straße nach Rauch gerochen und mehrere Bekannte, die Nachts noch zurück nach Haifa wollten, wussten nicht wie sie das anstellen sollten. Es stellte sich heraus, dass in der Zeit unseres Konzerts ca. 400 Meter weiter die Autobahn mit brennenden Barrikaden blockiert wurde und gerade eine der größten Demos der Landesgeschichte stattfand. Alle Kneipen hatten zu. Die Leute die Nachts die Stadt verlassen wollten, sind geblieben. Wir sind dann mit einigen Leuten zu einem Freund nach Hause und haben die Proteste im Fernsehen verfolgt. Auf jedem Sender gab es eine Sondersendung mit Aufnahmen, die zum Großteil die direkte Nachbarschaft zeigten. Beim Fernsehen wurde Kette geraucht, Dosenwein getrunken und über die Zukunft des Landes und die verzwickte politische Lage debattiert. Am nächsten Tag wurde ein Generalstreik ausgerufen, der auch den Flughafen betraf, und uns war zum ersten Mal nicht klar, wie wir wieder nach Berlin kommen sollten. Glücklicherweise wurde der Flughafen nach einem Tag wieder geöffnet.
Wir hatten eigentlich geplant noch ein bisschen durchs Land zu reisen und uns Jerusalem noch einmal in Ruhe anzugucken, doch davon wurde uns vermehrt abgeraten. So blieben wir noch ein paar Tage in Tel Aviv und waren auch bei verschiedenen Demos. Interessanterweise waren selbst die Reaktionen von bürgerlichen Passanten auf queerfeministische Demonstrationen meist sehr positiv. Hier wird deutlich, wie breit die Schnittmenge der Menschen ist, die die geplante Justizreform kritisieren.
Die weitere freie Zeit vor dem Flug haben wir damit verbracht uns im ruhigeren Norden des Landes ein paar Städte anzugucken.
Am Tag vor unserem Flug wurden wir noch auf ein Street-Punkfestival in der Central Bus Station in Tel Aviv eingeladen. Der kurioseste Ort an dem wir je gespielt haben! Die Decken von diesem maroden riesigen Gebäude haben gezittert, immer wenn ein Bus über uns entlang fuhr. Wir mussten uns mit dem Equipment durch die Security Schleuse und danach durch einen Klamotten- und Essensbasar kämpfen, um dann in einem verlassenen Teil des Gebäudes in einer alten jiddischen Bibliothek auf einer Underground Veranstaltung zu spielen. Lange war unklar ob überhaupt alles klappt, denn auch die Orga war Punkrock: Die PA funktionierte nicht, also wurden die Monitore umgedreht. Auch einen richtigen Zeitplan gab es nicht, außer dass es um 11 vorbei sein musste. Dennoch war die Show im Busbahnhof von Tel Aviv eine der besten Shows, die wir je gespielt haben. Manche Leute im Publikum, hatten uns zu dem Zeitpunkt schon dreimal gesehen. Die Stimmung und Stagedives haben uns an Hardcore-Konzerte in den 2000ern erinnert.

Nach uns sollte noch eine Band spielen, deren Set jedoch von der Polizei unterbrochen wurde. Daraufhin wurde alles schnellstmöglich zusammengepackt und die Busstation verlassen.
Nachts haben wir die Gitarre wieder auseinander gebaut, alles wieder ins Bassdrum Case gepackt und uns am nächsten Morgen von einem Freund leicht verwirrt an den Flughafen fahren lassen, um zurück zu fliegen. Wir haben auf Tour noch nie besser gegessen und die Gastfreundschaft, mit der wir auch in dieser sehr schwierigen Zeit aufgenommen wurden, hat uns fast beschämt.
Wenn es die politische Lage zulässt, wird es nach dem geplanten Release unseres Albums im Herbst mit Sicherheit eine Fortsetzung geben, die nächsten Einladungen wurden schon ausgesprochen…

 

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– Playlist: Happy Release Day

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