Start Sonstiges Crossover MOSCOW DEATH BRIGADE im Interview – „Stillstand ist der Tod“

MOSCOW DEATH BRIGADE im Interview – „Stillstand ist der Tod“

Interview mit Moscow Death Brigade zu ihrem zweiten Studioalbum "Boltcutter".

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Bild von Jörg Kandziora (zur Verfügung gestellt von Gordeon Music)

Moscow Death Brigade entwickelte sich über die vergangenen Jahre vom Geheimtipp nach und nach zur absoluten Szene-Größe. Mit ihrem Mix aus Hardcore, Hip-Hop und Punk und ihrem antifaschistischen Auftreten mischte die aus der russischen Hauptstadt Moskau stammende Band die Szene ordentlich auf. Nachdem Moscow Death Brigade mit Hoods Up im Jahr 2014 ihr Debütalbum vorlegten, folgt im Januar 2018 nun der heiß erwartete Nachfolger, der auf dem Namen Boltcutter getauft wurde. Wir nahmen die Veröffentlichung des neuen Albums zum Anlass mit der Band ein Interview zu führen, indem wir mehr über Boltcutter und Moscow Death Brigade erfahren konnten.

Interview mit Moscow Death Brigade

Wir hatten vom ersten Tag an die Idee einen Sound zu schaffen, der alle Musik-Genre, die wir lieben, vereint und diese im Hip-Hop-Gewand verpackt

AFL: “Boltcutter” ist euer erster Release seit langem. Warum hat es so lange gedauert und könntet ihr uns ein bisschen etwas über das Songwriting der neuen Platte erzählen?

Seit unserem letzten Album “Hoods Up” in 2014 haben wir ein paar EPs veröffentlicht: Eine Split mit What We Feel und eine 4-way Split mit Feine Sahne Fischfilet, What We Feel und Los Fastidios. Letztere wurde mit Hilfe von True Rebel Store und Lonsdale Germany via Audiolith Records als Benefiz-Release veröffentlicht – Alle Erlöse von Platten- und Onlineverkäufen gingen an Familien von Opfern russischer Neo-Nazi-Übergriffe.

Wir haben auch die digitale Single “Papers Please!” und die erste Single vom neuen Album ‚Brother & Sisterhood‘ veröffentlicht, welche überraschenderweise gut im deutschen Radio angenommen wurde. Die kam zum Beispiel in die Top 10 im September bei Lohro Radio, noch vor den Foo Fighters, Clawfinger und Chase & Status.

Zum Schreibprozess: Wir haben Anfang 2017 angefangen, Songs für dieses Album zu schreiben. Wegen unserem enggeschnallten Tour-Kalender mit MOSCOW DEATH BRIGADE, anderen Bands in denen wir spielen und unserer Arbeit, dauerte das Aufnehmen und Mixen beinahe ein Jahr. Aber wir haben das Gefühl, dass wir das gut rumbekommen haben und das neue Album 100% so klingt, wie wir es möchten.

Moscow Death Brigade am 06. Oktober 2018 auf dem Stäbruch Festival mit The Baboon Show, Born From Pain, Risk It! und viele mehr.

AFL: Ich hatte bereits die Gelegenheit, euer neues Album zu hören und da gab es ein paar neue Elemente in eurem Sound zu hören. Woher kam die Idee zu den Techno-Elementen auf „Boltcutter“?

Moscow Death Brigade – Boltcutter

Vom ersten Tag an hatten wir die Idee, mit MOSCOW DEATH BRIGADE den ultimativen Sound zu erschaffen, der alle Musik-Genre, die wir lieben vereint und diese im Hip-Hop-Gewand zu verpacken – deswegen nennen wir unseren Style „Circle Pit Hip-Hop“. Früher verbanden wir Rap mit Metal und Punk/Hardcore, jetzt haben wir ein paar elektronische Sound und Techno, Drum’n’Bass und sogar Dub-Vibes hinzugefügt, was zu diesem „Techno-Rap-Punk“-Sound geführt hat. Das hatten wir tatsächlich von Anfang an so vor, aber uns fehlten die entsprechenden technischen Skills. Jetzt haben wir genug gelernt und unseren Sound endlich auf ein neues Level gehoben.

Wir waren schon immer von Bands beeinflusst, die elektronische Sound auf verschiedene Arten nutzen, von Atari Teenage Riot, zur Asian Dub Foundation, zu Ministry und Godflesh. Wir glauben, dass unser Sound jetzt kraftvoller ist, er verbindet die Atmosphäre eines Hardcore/Rap-Moshpits mit dem Spirit illegaler Rave-Partys. Insgesamt ist es für uns immer noch Punk/Hardcore-Musik: Dreckig, energiereich und unaufhaltsam. So oder so nehmen wir immer noch in unserem traditionellen Punk/Rap-Style auf, experimentieren gleichzeitig aber mit dem neuen Sound. Es geht immer darum, neue Ansätze zum ultimativen Weg auszutesten. Weiterkommen heißt Leben, Stagnation heißt Tod.

AFL: Wie würdet ihr sagen unterscheidet sich “Boltcutter” von euren anderen Veröffentlichungen abgesehen von den neuen Elementen, die ihr mit in euren Sound genommen habt? Könnt ihr uns ein bisschen was zum Hintergrund des Album-Titels sagen?

Das neue Album ist definitive eine neue Stufe für unsere Style-Entwicklung und Sound-Qualität. Während die ersten Veröffentlichungen komplett DIY gemacht wurden, haben wir es dieses Mal komplexer versucht, mit einem kräftigeren, aber aggressiveren Sound. Der Titel „Boltcutter“ ist der Inbegriff eines Werkzeugs der Freiheit, ein Utensil das Ketten, Zäune und Käfige zerstört, ein universaler Schlüssel für jede Stadt.

AFL: Welche Themen behandelt ihr auf “Boltcutter” und woher nehmt ihr eure Inspiration für Texte und Musik?

Musikalisch werden wir von verschiedensten Band und Genres inspiriert. Wir sind als 90er-Jahre-Metalheads aufgewachsen, aber sind dann mit allen möglichen anderen Genres von Punk Rock, Hip-Hop bis zu Reggae, Grime und Hardstyle in Berührung gekommen. Unsere Einflüsse reichen von den Cro-Mags zu den Lordz of Brooklyn, zu Eric B. & Rakim, DJ Fresh und Looptroop.

Thematisch dreht sich das Album um eine Menge verschiedener Dinge die uns wichtig sind: Der Titel-Track “Boltcutter” handelt vom gleichnamigen Werkzeug, welches symbolisch für Gruppen wie Graffiti-Sprayer, Tierrechts-Schützer und Menschen die Menschenhandel und das korrupte Justiz-System bekämpfen steht. Anne Frank Army Part II ist ein Sequel zu unserem älteren Rap-Song – Eine Hymne gegen Rassismus und religiöse Diskriminierung. All for One ist eine Gemeinschafts-Hymne im Stil klassischer Songs von Warzone oder Sick of it All. Rude Girl Warrior ist ein Song mit starker Message für Frauenrechte.

Wir versuchen nicht zu predigen, oder Leuten zu erzählen wie sie leben sollen. Stattdessen singen wir einfach über Dinge, die wir wichtig finden: Graffiti, Reise, Touren, die eigene Stimme gegen Gewalt und Vorurteile einzusetzen. Wir glauben, dass Kids die zu unseren Shows kommen um zu moshen, tanzen und stagediven, die positive Message hören und dadurch nicht mehr so leicht von hasserfüllter Propaganda beeinflusst werden.

AFL: Ich habe gelesen, dass die verschiedenen Subkulturen von Hip-Hop bis Metal sich in Russland in den 90ern bekriegt haben. Wie ist das heute? Ich habe auch gelesen, dass ihr mit eurer Musik eine vereinte Szene schaffen wollt?

Das stimmt – in den 90ern gab es einen Straßenkrieg zwischen den jeweiligen Subkulturen. Ein Metal- oder Rap-Shirt war dasselbe wie Gang-Farben und damit ein Grund einen Kampf zu beginnen, oder sogar jemanden abzustechen. Wir sind als Metal-Kids aufgewachsen, aber irgendwann haben wir gemerkt, dass wir auch an Rap-Musik, Graffiti und Street-Culture interessiert waren und uns Gedanken über die Dummheit dieser Fehde gemacht… Diese ganzen Konflikte bleiben in der Vergangenheit und wir sind froh, dass die Leute ihren musikalischen Horizont erweitert haben.
Aber so oder so war und ist unsere Idee immer noch, einen ultimativen Sound zu schaffen, der unterschiedliche Leute zusammen bringt. Irgendwann hat das auch angefangen zu funktionieren: Nachdem wir angefangen hatten Shows zu spielen, sahen wir verschiedenste Typen auf unseren Konzerten: Von Punks zu Hip-Hop-Kids, Skater, Graffiti-Sprayer usw.

AFL: Ich habe auch mitbekommen, dass ihr letzten Monat ein paar Line-Up-Änderungen hattet. Habt ihr jetzt eine feste Besetzung, oder ändert ihr die von Tour zu Tour?

Wir hatten tatsächlich keine Änderungen seit 2016. Der Kern der Band besteht nach wie vor aus den beiden Gründern. Glücklicherweise hatten wir andere Leute aus unserer Crew, die uns bei Touren aushelfen. Unser dritter MC und DJ ist seit mehr als zwei Jahren dabei, aber unterstützt die Band von Beginn an, also sind wir da ziemlich stabil.

Moscow Death Brigade – Boltcutter ::: Review (2018)

AFL: Apropos Tour: Ihr geht im Februar wieder auf Tour. Kommt ihr mit einer Live-Band oder wird es eine DJ-Tour?

Das stimmt, am 6. Februar starten wir mit dem ersten Teil unserer Euro-Tour für das neue Album. Wie immer kommen wir mit 3 MCs, von denen einer auf DJ ist. Wer schon mal auf einem unserer Gigs war oder eines unserer Live-Videos gesehen hat weiß, dass so ein Line-Up krassere Moshpits und Circle-Pits hervorbringen kann als viele Live-Bands. Wir spielen ein paar Track mit einer Live-Band auf der Tour und davon planen wir auch mehr in der Zukunft.

Unser klassisches Format stammt aus den frühen Tagen der Band: Als wir anfingen, war die Independent-Szene in Russland ziemlich klein, die meisten Clubs wollten keine Punk-, Hardcore- und Underground-Rap-Bands. Deshalb gab es viele Gigs in Kellern und verlassenen Häuser. Das endete zu oft mit Polizei-Festnahmen und Beschlagnahmungen. Deshalb war Hip-Hop den Umständen entsprechend das beste Format, dadurch, dass es einem ermöglichte, mit nur ein paar Mics und irgendeiner Form von Plattenspieler eine Show zu starten. Wir spielten dann an den verrücktesten Orten, Wäldern, Straßen-Demonstrationen, sogar Pendlerzügen – manches davon kann man in unseren Musik-Videos sehen.

AFL: Warum ist es für euch wichtige, politische Themen in euren Songs anzugehen und mit der Musik eine klare Stellung zu beziehen? Seht ihr euch als politische Band?

Tatsächlich sehen wir uns selbst nicht als politische Band. Unsere Message ist rein sozialkritisch. Wir lehnen jegliche Arten von Diskriminierung, Gewalt und Krieg ab, aber wir sehen das nicht als politische Meinung – das ist eine rein menschliche Stellung. Wir mögen keine menschenverachtenden oder hetzerischen Philosophien, aber wir geben uns nicht für Parteien oder politische Organisationen her. Im Grunde sind wir stinknormale Kids, die Bock darauf haben Musik zu machen, Graffiti zu sprayen, auch Shows zu gehen und Videospiele zu spielen, wir haben einfach keine Geduld für hasserfüllten Mist.

Davon abgesehen haben wir die Konsequenzen der rechten Propaganda und die Toleranz der Öffentlichkeit dieser gegenüber mit unseren eigenen Augen in Russland gesehen, wo Neo-Nazi-Gangs und extrem rechte Organisationen von den 90ern bis 2010 extrem stark waren. Zu dieser Zeit gab es viele brutale Angriffe gegen Einwanderer, Nicht-Weiße und auch gegen Hip-Hop-Kids und Punks, die die Rechten als Befürworter der fremden Kulturen sahen. Einige Menschen die wir kannten und sogar unsere Freunde wurden umgebracht, also mussten wir uns lautstark gegen Gewalt und Diskriminierung wehren. In unseren Augen machen wir allerdings nichts Neues: Wir folgen einfach den Bands die uns beeinflusst haben: Public Enemy, Atari Teenage Riot, Dead Kennedys, Warzone, Sepultura, The Oppressed, Napalm Death und andere.

AFL: Was waren die Höhe- und Tiefpunkte für MOSCOW DEATH BRIGADE im Jahr 2017?

2017 war ein ziemlich produktives Jahr für unsere Band: Wir hatten zwei Euro-Touren, haben überall in der alten Welt gespielt, in Deutschland, Frankreich, Tschechien, Schweiz und anderen Ländern. Wir waren auf dem African Culture Festival in Frankfurt (DE) und auf unserem ersten Festival in Griechenland. Wir haben die erste Single vom neuen Album „Brother & Sisterhood“ mitsamt Musik-Video veröffentlicht und die Aufnahmen dafür abgeschlossen. Aktuell arbeiten wir an einem neuen Musik-Video und bereiten uns für die Tour im Februar vor.

AFL: Was waren eure Favoriten 2017? Und könntet ihr uns ein paar musikalische Insider-Tipps aus deiner Heimatstadt geben?

Um nur ein paar zu nennen: Wiley – Godfather, Wu-Tang Clan – The Saga Continues, Body Count – Bloodlust, Nasty – Realigion.

Bei den lokalen Bands würden wir die neue Split-LP unserer langjährigen Freunde What We Feel (Moscow Hardcore) und Mister X (Minsk Street Punx) vorschlagen. Die Scheibe kommt im Januar auf Audiolith Records raus. Beide Bands spielen mit uns auf unserem Gig im SO-36 in Berlin am 23. Februar.

AFL: Danke für das Interview! Habt ihr irgendetwas hinzuzufügen, oder irgendwelche letzten Worte?

Macht was ihr wollt, hört gute Musik, genießt euer Leben, helft den Leuten um euch rum und seid kein hasserfüllter Vollidiot. Wir sind alle gleich und sollten zusammen gegen die Widrigkeiten des Lebens stehen.

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– Playlist: Happy Release Day

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