Start Interviews Zerfall unserer Subkultur? – Die Krise existierte schon weit davor!

Zerfall unserer Subkultur? – Die Krise existierte schon weit davor!

„Die oft benannte Szene ist kaum noch existent, was das eigentliche Problem ist...“. Gregor von Sounds of Subterrania im Interview zur aktuellen Problematik, die vielleicht gar nicht so aktuell ist.

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Bild zur Verfügung gestellt von Sounds of Subterrania

Bei den ganzen, meist überflüssigen Posts, die in den vergangenen Tagen in Zeiten von „Social Distancing“ so in meinen Facebook-Feed angezeigt wurden, sprang mir am Sonntagmorgen ein Beitrag ins Auge, der alles andere als inhaltslos war und meine volle Aufmerksamkeit fesselte. Dort schrieb Gregor Samsa, der Label-Gründer von Sounds of Subterrania, in einem längeren Text weshalb seiner Meinung nach sehr viele Labels die Coronakrise nicht überstehen werden, was er an verschiedenen Punkten festmachte.

Um euch einen besseren Bezug und Verständnis zum anschließenden Interview zu geben, hier der unveränderte Facebook-Beitrag von Gregor:

Gregor Samsa von Sounds of Subterrania im Interview
Gregor Samsa von Sounds of Subterrania im Interview

Eine Frage der Wahrnehmung:

Ich habe in den letzten Tagen ein paar Texte geschrieben und viele Beiträge hier auf Facebook und im Netz gelesen. Und mit voller Traurigkeit muss ich feststellen, dass wohl viele der kleinen unabhängigen Labels, die ich so mag, diese Zeit nicht überstehen werden. Es gibt verschiedene Punkte an denen ich das festmachen möchte.

1.) Labels finden nur in wenigen Krisenargumentationen statt. Selbst in Brandbriefen von Recordstore-Betreibern und Clubs finden sie oftmals keine Erwähnung. War es vor der Krise schon schwer zu erklären, was man da eigentlich macht, wird es jetzt bereits ausgespart. Die Konzentration der Politik, Medien und Aufmerksamkeit erfolgt auf Künstler, Shops und Konzertstätten. Das Bindeglied von allen wird fallengelassen. Labels sind momentan von der Unterstützung der Regierung ausgenommen.

2.) Bandcamp und Co inszenieren sich bereits als Krisenpartner, der den Künstlern jetzt direkt helfen will, der Verzicht von einem Tag Umsatz mit dem Versprechen, dass dann mehr beim Künstler hängenbleibt, zerbricht natürlich auch eine andere Kette der Kooperation. Bandcamps Geschäftsmodel baut unter anderem auf Künstlern ohne Verträge auf.

3.) Wir kleinen Labels finanzieren die Platten der Künstler aus eigener Tasche. Sie bezahlen zumeist die Tourposter, die Promotion und manchmal auch die Aufnahmen. (Der Dank dafür ist spärlich, besonders wenn der Erfolg nicht sofort eintritt. Du zählst als Label nur solange was für einen Künstler, wie er glaubt, einen Vorteil von Dir zu haben. Aber das ist ein anderes Thema.) Jedenfalls brechen jetzt eben auch für viele Labels die Einnahmen durch Verkäufe weg, denn in der Subkultur existiert eben auch nicht unendliches Geld. Das vorhandene Geld fließt jetzt gerade komplett an unseren Labels vorbei. Von allen Labels mit denen ich gesprochen habe, kam die Aussage, dass die Verkäufe katastrophal eingebrochenen sind. Recordshops verkaufen ihren Restock und ab Herbst werden neue Tonträger den Markt überschwemmen.

4.) Viele kleine Labels haben ihr Tun als Fans gestartet und sind es noch bis heute. Dieses birgt generell die Gefahr, einer kommunikativen Zurückhaltung. Damit meine ich, dass die wenigsten die reale Situation und Knackpunkte benennen werden und können. Ihr Verhalten ist das eines devoten Fans, der sein letzten Hemd für den Künstler gibt. Hierin steckt ein gewisser Selbstbetrug, denn die Freude, dass sich eine Platte getragen hat, steht konträr zur Wahrnehmung des Publikums, was man eigentlich daran verdient. Schlicht und ergreifend wird die Arbeit an der Platte nie als Wert beziffert.

5.) Wenn du als Label nicht vor der Krise eine „schützenswerte“ Marke aufgebaut hast, wirst du dieses aller Wahrscheinlichkeit auch nicht in der Krise bewerkstelligen können. Und hier sind wir eben bei den Labels, die ich mag. Diese sind eben zumeist keine Hipsterlabel, deren Platten blind gekauft werden, weil es hip ist, sondern Labels, die eine ernsthafte kulturelle Arbeit betreiben, die neue Sachen entdecken wollen und mit ihrem eigenen Geld ins Risiko gehen. Diesen werden jetzt massiv Einnahmen wegbrechen und damit eben auch die Möglichkeit, ihre Arbeit fortsetzen zu können.

6.) Auch ohne Corona gab es starke Veränderungen am Markt. Alle Labels wurden in einen Topf geworfen und mehr oder weniger als Schmarotzer am Künstler gebrandmarkt. Künstlern wurde erklärt, dass alleinig das Digitale zählt und Platten halt nicht mehr sind als Merch, für die es auch Labelservice geben kann. Diese Denkweise ist mehr und mehr im Bewusstsein vieler Menschen verankert.

7.) Die Umwandlung der Lobbyorganisation der kleinen Labels VUT hin zur Lobbyorganisation aller Musikunternehmen verschärft diesen Konflikt. Die Größe des Verbandes sorgt dafür, dass sich Firmen mit unterschiedlichen Interessen (Verlage, Labels, Digitalanbieter, Manager etc.) einfach gegenseitig lahmlegen und keine wirksamen Strategien gegen diese Entwicklung aufgebaut wird und werden kann und werden soll.

Sinn dieses Kommentares ist allerdings, dass ich in den nächsten Tagen kleine coole Labels vorstellen und in Erinnerung rufen möchte, deren Arbeit ich schätze und bei denen ich mir wünsche, dass ihr sie unterstützt, damit sie ihre Arbeit fortsetzen können.

Ich wiederhole mich jetzt: Der Kampf um die Gunst der Spender und die letzten Ressourcen entfaltet sich in voller Kraft und natürlich schaut die Mehrheit nicht auf die Kleinen, die Schwachen, die nicht Sichtbaren. Genau das wäre jetzt aber wichtig, um eine Vielfalt zu erhalten.

In diesem Sinne, macht es anders!

Gregor / Sounds of Subterrania


Der Beitrag brachte mich länger zum Nachdenken, da mir zum einen das angesprochene Thema samt der gesamten subkulturellen Szene sehr wichtig sind, zum anderen da mir viele von Gregor genannten Punkten selbst so nicht bewusst waren.

Ich schrieb Gregor, den ich zuvor nicht kannte, daraufhin noch am selben Tag eine Nachricht, in der ich ihn nach einem möglichen Interview zu seiner Wahrnehmung und der aktuellen Problematik fragte. Er stimmte sofort zu, wir telefonierten daraufhin und ich stelle Gregor einige Fragen, die er beantworte.

Hier einleitend einige kurze Auszüge aus unserem Gespräch, die euch vielleicht schon dazu bringen gewisse Dinge zu hinterfragen:

  • „Die oft benannte Szene ist kaum noch existent, was das eigentliche Problem ist […]“
  • „Subkulturen zerfallen, weil sie von vielen nur als Sprungbrett in die normale bürgerliche Gesellschaft benutzt werden.“
  • „Eine Szene ist für mich kein Zusammenschluss von Konsumenten, sondern ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten […]“
  • „Anstatt dass jetzt jeder als Einzelkämpfer einzelne Aktionen macht, sollten wir uns gemeinsam organisieren […]“
  • „Wenn du den Kapitalismus bekämpfen willst, musst du den Kapitalisten in dir selbst bekämpfen.“

Ich möchte das Interview gar nicht weiter groß einleiten, sondern vielmehr Gregors Antworten sprechen lassen.

Interview mit Gregor Samsa von Sounds of Subterrania

Bild zur Verfügung gestellt von Sounds of Subterrania

AFL: Ich habe deinen privaten Facebook-Post zur aktuellen Label-Problematik gelesen, die es nicht erst seit Ausbruch der Corona-Epidemie besteht, doch durch den Virus jetzt erst richtig spürbar und bedrohlich wirkt.

Ich glaube, dass viele sich gar nicht bewusst sind, welche wichtige Funktionen Labels für unsere Subkultur alles haben. Bevor die Fragen näher auf die enormen Bedrohungen in Zeiten von Corona abzielen, wollte ich deshalb zunächst einmal ein paar allgemeine Fragen zu Label-Arbeit stellen. Zunächst einmal: Welche Arten von Labels gibt es?

Gregor: Grundsätzlich wird ja die Unterscheidung in Major- und Indielabels getroffen, wobei ich persönlich nicht sehr glücklich mit dieser Unterscheidung bin. Das liegt daran, dass es innerhalb des Bereiches der unabhängigen Labels sehr große Unterschiede gibt. Das geht vom Selbstvermarkter bis hin zu wie Major agierenden Labels a la Epitaph.

Ich persönlich ordne die Labels zumeist nach ihrer Intention ein, also geht es primär um das Zugänglichmachen von Kultur oder um ein Business, also darum sein Geld zu verdienen. Beides ist legitim und wertfrei zu betrachten, verändert aber die Arbeitsweise. Wenn wir den für uns interessanten unteren Sektor betrachten, würde ich Labels wie folgt urteilen:

  1. Selbstvermarkter: Bands und Künstler, die unter einem Label ihre eigene Band veröffentlichen.
  2. Hobbylabels: Leute die einen Job haben, und nebenbei als Hobby neue Bands veröffentlichen oder eben sich auf der Verwertung alter Aufnahmen spezialisiert haben.
  3. Kleinstlabels: Leute die Platten veröffentlichen und oftmals nebenbei einen Job machen, um sich finanzieren zu können, hierzu zähle ich auch die Leute die dann nebenbei einen Plattenladen betreiben etc.
  4. Größere Indies mit einer ausgeprägten Vermarkungsstrategie.

Darüber hat man all die vom Major ausgegliederten Labels, die aber eben trotzdem vom Major vertrieben werden. Meiner Ansicht nach sind das keine Indielabels. Merlin, der weltweite Indieverband, sieht das aber aus statistischen Gründen anders.

Was machen Labels eigentlich?

AFL: Was sind die Funktionen eines Labels? Und welche Tätigkeiten und Aufgaben fallen dabei an?

Gregor: Die primäre Funktion ist zunächst die Veröffentlichung von Tonträgern, mit all den damit anfallenden Teilaspekten – Erstellung des Artworks, Promotion, Versand, Vertrieb etc. Gerade im subkulturellen Bereich hat sich aber etabliert, oftmals das gesamte Management einer Band einfach kostenlos mit zu erledigen. Damit Tonträger verkauft werden, muss die Band auch spielen, hat sie aber keine Booking-Agentur, versucht man sich auch noch daran. Also das berühmte 360-Grad-Model bevor es zur Vermarktungsstrategie wurde.

Wir erleben gerade einen kulturellen Wandel, so dass ich mir über die Wichtigkeit der Labels konkret nicht mehr sicher bin […]

AFL: Das hört sich für mich nach sehr viel Arbeit und auch Aufwand an. Mit zunehmenden Band-Roster wird das ja sicher ordentlich Zeit fressen, so dass die Arbeit alleine ja fast kaum noch zu bewerkstelligen ist, oder?

Gregor: Ja, wobei das natürlich auch jeder anders handhabt. Manche Labels konzentrieren sich ja auch nur auf Wiederveröffentlichungen und manche sagen von vornherein, dass sie nur die Platte machen wollen. Jeder ist da etwas anders aufgestellt.

Warum sind Labels für unsere Subkultur und der ganzen Musikszene absolut notwendig?

Gregor: Das ist eine gute Frage und im Laufe der Geschichte hat sich ihre Rolle gewandelt. Labels waren immer Finanziers von Bands und ihrer Musik, gleichzeitig sind sie aber auch wichtig in ihrer Rolle als Filter und Verortungssystem/Kurator für das Publikum. Diese Rolle wird umso wichtiger, je mehr Musik einfach auf die Leute zu strömt. Sie können ein Korrektiv sein, denn von seinen drei besten Freunden wird man wohl keine ehrliche Meinung zur eigenen Kapelle hören.

Wir erleben gerade einen kulturellen Wandel, so dass ich mir über die Wichtigkeit der Labels konkret nicht mehr sicher bin, denn der wichtige Punkt der „Gewerkschaft und Interessenvertretung“ für Musiker wird von diesen mehr und mehr negiert und nicht als solche wahrgenommen.

Ich betreibe mein Label seit 22 Jahren und hatte nie genug Verkäufe, um nicht nebenbei einer Tätigkeit nachzugehen, die mir die Miete und das Leben sichert.

AFL: Zu deiner Antwort „Labels waren immer Finanziers von Bands und ihrer Musik“ und auch zu Beginn sagtest du, dass „oftmals das gesamte Management einer Band einfach kostenlos mit zu erledigen ist“ – das klingt für mich so, dass Labels sich von Bands für finanzielle Zwecke rein ausnutzen lassen – ist das so oder ist es von dir einfach etwas überspitzt formuliert?

Wie finanzieren sich Labels denn allgemein?

Gregor: Ich habe es versucht spitz zu formulieren, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Die Haupteinnahmequelle der Labels ist der Verkauf der Tonträger, welche sie finanziert haben. Diese gehen dann in den Handel. Wenn man Glück hat verkauft man viel direkt [Anm. d. Red.: …über seine eigenen Label-Kanäle]. In der Regel läuft aber viel über Vertriebe und Shops.

Man könnte es vielleicht noch mehr überspitzen und sagen, die Haupteinnahmen vieler Labels ist der Job nebenbei. Ich betreibe mein Label seit 22 Jahren und hatte nie genug Verkäufe, um nicht nebenbei einer Tätigkeit nachzugehen, die mir die Miete und das Leben sichert.

Sind nicht „wir“ das eigentliche Problem und nicht Corona?

Eine Szene ist für mich kein Zusammenschluss von Konsumenten, sondern ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten […]

AFL: Du schriebst in deinem Beitrag, das viele Labels nach der Coronakrise nicht mehr existieren werden. Von wie vielen Labels reden wir deiner Meinung nach, die essentiell finanziell bedroht sind?

Ich glaube, dass in der Szene häufig ein Denken verankert ist, dass Labels gewöhnlich nur Hobby-mäßig zu einem gewöhnlichen 9-to-5-Job betrieben werden und das Geld, das man reinsteckt eben Hobby bzw. Szenearbeit ist. Ist das so?

Gregor: Natürlich sind genaue Zahlen Spekulationen. Ich würde auf 30 Prozent aller Kleinstlabels tippen, die keine weiteren Einnahmequellen haben. Wer ein Label als Hobby betreibt oder sich selbst vermarktet, wird wohl weitermachen müssen oder können.

Was du in der Frage als Szene benennst, ist allerdings das eigentliche Problem, denn diese sehe ich persönlich als kaum noch existent. Eine Szene ist ja für mich kein Zusammenschluss von Konsumenten, sondern ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten, die an unterschiedlichen Projekten innerhalb einer größeren Idee arbeiten.

Subkulturen zerfallen, weil sie von vielen nur als Sprungbrett in die normale bürgerliche Gesellschaft benutzt werden.

Indielabels wurden einmal als Teil einer Szene begriffen, ebenso wie Konzertorte, Bands, Fanzine etc. Jeder versuchte auf einem Gebiet was ihm lag einen Beitrag beizusteuern, nicht weil er gezwungen wurde, sondern weil ihm die Gemeinschaft dahinter wichtig war. Diese Szenearbeit, obwohl vielfach beschworen, existiert kaum mehr. Was anstelle existiert sind Anbieter und Konsumenten, und somit auch kein Unterschied zum normalen Egoismus innerhalb der Gesellschaft.

AFL: Also besteht die Subkultur, hier gesprochen von Hardcore/Punk, nicht mehr, weil mittlerweile zu viele Personen damit ihr Geld verdienen? Oder ist das Geld verdienen nicht das „Problem“, sondern eher die Frage WIE Geld verdient wird?

Gregor: Nein, Geld verdienen ist ja per se erst einmal wertfrei zu betrachten. Subkulturen zerfallen, weil sie von vielen nur als Sprungbrett in die normale bürgerliche Gesellschaft benutzt werden. Diesen Vorgang nennt man flexible Normalisierung und er sorgt auf der einen Seite für eine natürliche Weiterentwicklung der Gesellschaft mit vielen positiven Effekten. Auf der anderen Seite befördert er aber die Schwächung der einzelnen subkulturellen Positionen. Zum Beispiel werden gesellschaftskritische Inhalte von kulturellen Ausdrucksformen überdeckt. Dieses wird oftmals als Kompromiss gefeiert, dabei gleicht es eher eine feindliche Übernahme, deren Ziel die Erhaltung des Status Quo ist, also eine tiefgreifende Veränderung verhindert.

Nach Corona werden noch mehr subkulturell gestartete Bands in die Fänge der Majors begeben […]

AFL: Du schriebst auch, dass du Independent-Labels in großer Gefahr siehst – wieso, also welche, der von dir oben genannten, finanziellen Standbeine brechen für Labels in der Coronakrise weg? Und was würde sich in Zeiten nach Corona ändern, wenn die Anzahl von Independent-Labels rapide nach unten gehen würde?

Bild zur Verfügung gestellt von Sounds of Subterrania

Gregor: Corona legt ja nur offener, was vorher schon existent war. Wir haben im kulturellen, kreativen Bereich fünf Millionen Menschen, die von der Hand in den Mund leben, sprich ein ungeheuer großes Prekariat, welches sich dieses aber oftmals nicht eingestehen will, was nicht organisiert ist und welches im Modus des heroischen Einzelkämpfers durch den Gegend stapft. Fallen jetzt im kulturellen Bereich Labels weg, wird sich über kurz oder lang die kulturelle Vielfalt verändern. Bands und Künstler wären weniger experimentierfreudig, da ihr Überlebenskampf sich natürlich auch nochmals verschärfen würde.

Wir reden ja von einer Welt, die durch Technikkonzerne bestimmt wird, der französische Digitalanbieter Believe hat z.B. in den letzten Jahren Firmen wie Nuclear Blast und Vertriebe wie Rough Trade geschluckt. Da geht es um immense Marktanteile und eben nicht mehr um den einzelnen Künstler. Zudem sind viele alte kleine Labels noch in unabhängigen Strukturen integriert, arbeiten eng mit Konzertläden zusammen.

Ich denke, dass nach Corona noch mehr subkulturell gestartete Bands sich in die Fänge der Majors begeben werden und somit noch mehr Geld aus den eigenen Strukturen wegfließen wird. Das war meine Kritik vor Corona und bleibt sie erst recht danach. Oder ich formuliere es anders:die Bands, die ihre Kunst als Kritik an der Gesellschaft sehen, werden noch weniger und die des pseudokritischen Entertainments werden mehr.

Ich will mir nicht von Campino die Welt erklären lassen, wenn er selbst ein so „rühriger“ Unternehmer ist.

AFL: Ist das Interesse von Major-Labels an Subkultur ansässige Bands denn jetzt schon so groß? Und kann man nicht gesellschaftskritisch sein und gleichzeitig über einem Major seine Musik veröffentlichen?

Gregor: Ein Major will verkaufen, dazu benutzt er das was gefragt ist. Opfer sein ist immer gefragt, deswegen verkauft sich auch Opfermusik, von Frei.Wild bis hin zu Deutschrap, so gut. Heile Welten sind immer gefragt, hier kommen dann die Deutschpoeten ins Spiel. Dann gibt es noch den kleinen Rest der kritischen Musik liebt und den nimmt man dann auch noch mit und hat somit einen Marktanteil von über 80 Prozent.

Aber zum zweiten Teil. Menschen sind widersprüchlich. Sie lieben Tiere, ihren Hund, ihre Katzen und schaufeln bergeweise Schweine und Kühe in sich hinein. Die Frage was gesellschaftskritisch ist, kann ich ja nicht alleine beurteilen. Was ich beurteile sind Aussagen von Menschen und gleiche das mit ihren Verhalten ab und versuche den Selbstbetrug bzw. Selbstverarschung zu benennen. Ich will mir z.B. nicht von Campino die Welt erklären lassen, vor allem dann nicht, wenn er selbst ein so „rühriger“ Unternehmer ist.

Wer zu einem Majorlabel geht, erkennt damit die faktische Herrschaft des Kapitals über die Kultur an und ordnet sich dieser unter. Wie kann ich solchen Menschen dann ernsthaft glauben, dass sie sich für eine gesellschaftliche Verbesserung einsetzen und Wegweiser sein können, wenn sie ihre eigenen Ideen und Träume so leicht eingliedern. Um eine vorherige Frage zu präzisieren: Zur Frage „Wie wird das Geld verdient?“, stellt sich somit noch die Frage für wen wird das Geld verdient.

Wie kann man helfen, dass unsere Subkultur auch nach Corona besteht – oder wir sie sogar neu entfachen!

AFL: Wie genau kann man helfen und gegensteuern, um das schlimme Szenario zu verhindern? Bei den Labels einkaufen, was sonst?

Gregor: Die allererste Maßnahme ist dieses bestimmt, allerdings sehe ich hier auch die Gefahr, dass es eben genau alle nicht schaffen werden, die experimenteller aufgestellt sind. Bereits gekannte Labels, Clubs und Bands bekommen doch jetzt schon den größten Teil der Hilfe ab.

Mich haben Leute angeschrieben und sich entschuldigt, dass sie nicht bei mir Platten kaufen können, da sie ja schon woanders gespendet haben. Ihr guter Wille hilft mir dann doch aber auch nicht meine Miete zu zahlen und so geht es auch vielen anderen. Ich freue mich dann, wenn sie das Geld einem befreundeten Label geben, aber in mir selbst bleibt die Angst, auf der Strecke zu bleiben.

Das ist eine schwierige Situation. Von daher finde ich die Lösung des Clubkombinates in Hamburg zielführender, dass alle Spenden gesammelt werden und dann das Geld am Ende nach Bedürftigkeit verteilt wird, denn es sollte eben gerade jetzt um die Vielfalt gehen und eben nicht nur um das eigene Lieblingslabel.

Anstatt dass jetzt jeder als Einzelkämpfer einzelne Aktionen macht, sollten wir uns gemeinsam organisieren […]

AFL: In der Krise sind quasi alle „Parteien“ betroffen, die mit Musik zu tun haben und können jede Hilfe brauchen. Sei es Künstler, die von der Krise direkt betroffen sind (nein keine lokalen Bands, die von der Musik nicht Leben, es sei denn sie haben eine Tour für mehrere Tausend Euro im Voraus bezahlt, was wohl Seltenheit sein dürfte!), Clubbetreiber, Veranstalter, Labels, Booker, Ton- und Lichttechniker (ich weiß, dass das längst nicht alle sind, verzeiht mir, dass ich nicht alle aufgezählt habe) usw.

Nach welcher Priorität sollte man deiner Meinung nach am sinnvollsten unterstützen? Labels, Bands, Clubs, Veranstalter? Örtlich seinen Clubs und Record Stores anfangen? Ist die Frage pauschal nicht zu beantworten?

Hast du Kriterien bzw. Empfehlungen dafür, wo als erstea supportet werden sollte, um die Szene bestmöglich zu supporten?

The Sophisticated Vinyl Association von Sounds of Subterrania

Gregor: Oh, super schwere Frage. Und ich will da bei der letzten Antwort ansetzen. Anstatt dass jetzt jeder als Einzelkämpfer einzelne Aktionen macht, sollten wir uns gemeinsam organisieren und den Staat in die Pflicht nehmen, denn dieser profitiert seit Jahren von unserer für ihn kostenlosen Kulturarbeit.

Jeder einzelne der Leute und von dir genannten Berufsgruppen ist wichtig und systemrelevant. Im Moment werden ja alle Leute mit normalen Jobs und Homeoffice zu Hause kostenlos bespaßt. Der geforderte Shutdown betrifft somit die Einnahmen, aber eben nicht die Versorgung. Ein kultureller Shutdown wäre aber auch nicht möglich gewesen, da der Freiraum sofort von der Industrie und den unsolidarischen Indielabels besetzt worden wäre. Im Radio und Fernsehen läuft ja zumeist nur Musik von Universal und Co und die paar Indieradiosender spielen doch im Grunde auch nur das Repertoire der 50 großen Indies. Alles andere ist wenn überhaupt 2:00 Uhr nachts mal existent.

Also stellt sich zuerst die Frage, wie man wieder ein Verständnis für unabhängige Kultur schaffen kann. Also wie wird der Konsument wieder Teil einer politisch aktiven kulturellen Szene, denn nur diese und der ihr innewohnende Solidarität kann allen helfen. Ich persönlich schaue gerade auf die, die nicht die Kraft haben ihre Stimme zu erheben, da sie zu klein sind. Bei den größeren hoffe ich persönlich darauf, dass ihre Community stark genug ist, das schlimmste abzufedern. Aber wie gesagt das lindert nur das Leid, kümmert sich aber nicht um das strukturelle Problem.

[…] Ich verachte Menschen, die auf Facebook und Twitter jetzt teilen, dass Pflegekräfte mehr Geld zusteht und denken, dass sie sich damit jetzt solidarisch zeigen […]

AFL: Ich finde das mit dem gemeinsam zu organisieren einen richtig guten Punkt! Wie würde man es denn schaffen sich gemeinsam organisieren zu können? Sollten sich alle Labels zusammentun, alle Veranstalter oder wie könnte so etwas ablaufen? Wer müsste das initiieren?

Und meinst du gemeinsam organisieren mit einen riesigen Spendenpott sammeln, der dann anteilig, je nach finanzieller Not, aufgeteilt werden würde?

Gregor: Als erstes sollten alle Menschen Corona nicht als persönliche Krise, sondern als Krise der kapitalistischen Gesellschaft begreifen und sich anschließend generell solidarisieren. Ich nenne ein Beispiel.

Im Moment klatschen die Menschen den Pflegekräften zu für ihren Einsatz. Diese sagen, wir wollen kein Geklatsche, wir brauchen mehr Geld. Dieses wird jetzt von den Menschen als Twitter- und Facebook Nachricht zusammen mit dem Hinweis geteilt, dass es um Solidarität geht und wie richtig und wichtig das ist. Die Menschen, die dieses Teilen fühlen sich jetzt gut. Ich hasse und verachte sie dafür. Warum? Diese Menschen könnten genau jetzt solidarisch sein und einen Generalstreik ausrufen, sie könnten sagen, wir arbeiten erst wieder, wenn die Pflegekräfte diese 4.000 € bekommen, die sie zu Recht verdienen, ansonsten steht der Laden still. Sie könnten sich aktiv einsetzen, das passiert aber nicht.

Ähnliches betrifft die komplette Kulturszene, es sind doch alle Teile davon betroffen. Also befragt nach meiner, wenn auch aus bereits geschrieben Gründen unrealistischen Lösung, wäre die Antwort folgende: Warum nicht gemeinsam handeln und da geht es eben nicht um Spenden, was ein kaschiertes Mäzenatentum darstellt. Es geht um eine konkrete Reformierung der Gesellschaft, dessen Teil man ist. Ein erster Schritt wäre die Totalverweigerung aller Kulturleistungen, im Gegensatz zum jetzigen kostenlosen Verschenken, dann die Ausarbeitung konkreter Forderungen. Also Arbeitskampf. Der Spendenpott könnte dann so etwas wie die Streikkasse darstellen.

Wenn du den Kapitalismus bekämpfen willst, musst du den Kapitalisten in dir selbst bekämpfen.

AFL: Deine in 6. und 7. angesprochenen Punkte sind ja ein generelles Thema, also unabhängig von der Corona. Was können wir tun, also jeder einzelne Käufer, jede Band, Label usw. um hier gegen zu wirken, um ein besseres Miteinander statt Gegen- zu erreichen? Oder sind uns hier durch Major-Labels die Hände gebunden?

Gregor: Ich finde hier die Lösung sehr, sehr einfach. Um es in einem Satz zu sagen. Wenn du den Kapitalismus bekämpfen willst, musst du den Kapitalisten in dir selbst bekämpfen. Wir erleben seit Jahren, dass „Punk“-Bands zur Industrie gehen, um dann geläutert zurückzukehren. Meistens werden sie dann mit offenen Armen empfangen und noch doppelt ge- und verehrt. Aber was passiert eigentlich? Verschiedene Menschen, Labels, Clubs haben der Band  XY ermöglicht, groß zu werden und mit ihrer Musik Geld zu verdienen, dieses Geld fließt aber an die großen Labels und große Konzertveranstalter. Die Leute, die aber mit ihrer Arbeit, den Start ermöglicht haben, bleiben in ihren prekären Situationen, noch schlimmer, oftmals wurde mit dem wenigen Geld noch politische Arbeit geleistet und kulturelle Arbeit querfinanziert.

Bild zur Verfügung gestellt von Sounds of Subterrania

Ich persönlich würde also radikal jede dieser Bands ächten, weil sie sich einfach egoistisch und asozial verhalten hat. Anstatt gemeinsam mit der Gemeinschaft zu wachsen, haben sie eben auf ein eigenes Wachstum unabhängig von allen anderen entschieden. Mir kann doch keiner erzählen, dass innerhalb dieser Szene nicht auch Leute ein Konzert für 3000 oder mehr Menschen oder eine große Tour gebucht werden kann. Warum muss man zu Live Nation gehen? Warum will man als Punkband auch auf demselben Label wie Andreas Gabalier oder Santiano sein? Warum? Die einzige ehrliche Antwort ist: wegen des Geldes. Wenn das endlich mal wieder thematisiert werden würde, würden auch mehr Leute die Unterstützung von unabhängigen Strukturen verstehen und helfen.

AFL: Noch einmal eine Rückfrage zum Geld verdienen: Sollten Subkultur-ansässige Bands mit ihrer Musik dann kein Geld verdienen können? Ich meine du als Label verdienst damit ja auch dein Geld. Oder ist auch hier wieder entscheidend wie man sein Geld verdient und Bands einfach zu gierig werden?

Gregor:  Nochmal, es geht nicht um das Geld verdienen, es geht um eine faire Verteilung des verdienten Geldes. Das ist der entscheidende Punkt und Unterschied. Jeder sollte genug zum Leben haben. Es geht um die gerechte Verteilung des Mehrproduktes, gerade auch an die deren Leistung weniger sichtbar ist und dadurch weniger wert erscheint.

AFL: Sollten Labels deiner Meinung nach generell aus ihren „Mauerblümchen“-Schatten hinausspringen? Es kommt mir vor, dass sich viele (nicht alle!) Labels bewusst gerne eher im Hintergrund aufhalten. Falls ich das falsch sehe, wie schaffen wir es Labels öffentlich besser Wahrzunehmen, um ihre Wichtigkeit so auch noch einmal besser zu unterstreichen?

Gregor: Jeder Mensch ist anders und jedes Label ist anders. Viele Menschen mögen ihre Arbeit im Hintergrund, denn es gibt damit auch eine Sicherheit. Ich für meinen Teil mag es, Defizite laut zu artikulieren, damit es auch eine Veränderung gibt. Mit dieser Art macht man sich aber nicht viele Freunde, denn es wird fälschlicher oftmals als Neid und Ichbezogenheit abgestempelt, so dass bevor es zu einer Diskussion kommt, bereits der Diskurs erstickt. Generell würde es helfen, Bands nur als einen Teil des Kollektives zu sehen und alle anderen auch, also alle Beteiligten wieder auf eine Stufe zu stellen.

AFL: Von welchen Labels sprichst du in deinem Beitrag, bei denen du dir wünscht, dass sie in der schweren Zeit unterstützt werden?

Gregor: Es sind so viele und ich werde sie jetzt alle nicht aufzählen können. Ich starte aber gerade bei Facebook eine Reihe, bei der ich jeden Tag ein Label und meine Verbindung zu ihm vorstellen werde und hoffe, dass die Leute reinhören und neues entdecken werden.

Schlechter Deutschrock zum Saufen hat schon immer mehr gezogen als eine komplexe politische Diskussion.

AFL: Sollten diese Labels jetzt auch offener kommunizieren, dass sie Hilfe benötigen, um ihr Fortbestehen zu sichern?

Gregor: Ja, das tun auch schon einige, aber auch hier sieht man den Unterschied der Reichweite. Viele haben die Befürchtung, dass ihr Hilferuf klanglos verhallt. Ich habe am Anfang der Krise ein Hilfsangebot fürs Hafenklang ausgeschrieben, bisher erhielt ich genau 4 Bestellungen. Was soll man eigentlich dann noch kommunizieren?

Bild zur Verfügung gestellt von Sounds of Subterrania

AFL: In Zeiten wie diese wird man sehen wie hoch die so oft beschworene Unity innerhalb der Szene wirklich ist. Siehst du es auch etwas als ungewollte Chance wieder enger zusammen zu rücken, so dass wir nach der Krise vielleicht sogar nachhaltig davon profitieren könnten?

Gregor: Wenn wir aus den Fehlern lernen und unseren eigenen Egoismus überwinden ja. Ich glaube, aber das wird nicht passieren. Schlechter Deutschrock zum Saufen hat schon immer mehr gezogen als eine komplexe politische Diskussion.

Tipps für Erhaltung der Subkulutr

AFL: Danke dir für deine Antworten! Am Ende würde ich mich noch über sieben kurze, prägnante Tipps und Empfehlungen freuen, mit denen wir es schaffen, dass unsere Subkultur möglichst gut aus der Krise kommt.

Gregor:

  1. Solidarität. Achtet auf die Schwächsten.
  2. Hinterfragt die Strukturen. Wer profitiert am Ende einer Aktion?
  3. Wählt mit Bedacht, wen ihr unterstützen wollt und wem ihr eure Zeit schenkt. Das Leben ist kein Videospiel und ihr könnt niemals von vorne anfangen.
  4. Beschäftigt euch mit Dingen, die ihr zuerst nicht versteht. Subkultur ist mehr als Bespaßung und Entertainment.
  5. Macht Fremden Komplimente, die Welt ist beschissen genug. Wenn jemand lacht, könnte er vielleicht bald ein Freund und Verbündeter sein.
  6. Baut wieder mehr unabhängige Strukturen auf und lasst alles zu. Scheißt auf Konzertplenen, sondern der der macht, macht. Zensur und Selbstszensur erstickt unsere Spielwiesen.
  7. Traut euch Fehler zu machen und zu scheitern. Es wird genug Freunde geben, die euch auffangen.

Sounds of Subterrania wurde 1998 in Kassel von Gregor gegründet. 2008 hat das Ein-Mann-Label seinen Sitz nach Hamburg verlagert und ist von dort aus tätig. Erfahrt hier auf der Website von Sounds of Subterrania mehr über das DIY-Label und die Arbeit von Gregor:

Sounds of Subterrania »

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