31 Grad, ausverkauftes Open Air, 90 € Tickets und ein Line-up, das zwischen DIY-Spirit und Coachella-Ästhetik schwankt – Green Day riefen zum Tanz in die Hitze der Luxexpo, und wir folgten. Immerhin: Es gab kostenloses Wasser, was bei der Hitzeschlacht fast schon revolutionär wirkte.
Ein heißer Auftakt
Am frühen Abend gegen 18:15 Uhr machten wir uns bei brütender Hitze auf den Weg zur Luxexpo. Der Einlass war zwar schon um 17:30 Uhr geöffnet, aber wie so oft kamen meine Begleitungen mit gewohnter Verspätung. Was soll’s – Punk kennt keine Uhrzeit. Auf dem Gelände angekommen, schlugen uns direkt zwei Dinge entgegen: erstens die Gluthitze, zweitens die allgegenwärtige Frage: Ist das hier noch Punk?
Denn wer sich durch 90 €Tickets, überteuerte Merch-Stände (Shirts ab 40 €) und Menschen in festivaloptimierten Outfits kämpft, fragt sich irgendwann: Rebellion oder Retro-Romantik? Oder liegt’s einfach daran, dass unsere Generation jetzt das nötige Kleingeld hat? Y2K ist jedenfalls wieder da – mit allem, was dazugehört.
The Pill – Schrabbelpunk zum Warmwerden
Beim Betreten des Geländes spielten bereits The Pill, eine energetische Girl-Punk-Band. Klassischer britischer Schrabbelpunk – nicht revolutionär, aber zum Aufwärmen solide. Die Crowd war noch zögerlich, suchte wie wir eher nach Schatten als nach Pogo. Positiv hervorzuheben: Die Sänger:in zeigte sich sehr aufmerksam gegenüber dem Publikum und fragte mehrfach, ob es den Leuten bei der Hitze gut gehe. Einige sahen tatsächlich ziemlich durch aus – zum Glück gab es kostenloses Wasser auf dem Gelände, was bei Temperaturen über 30 Grad nicht nur fair, sondern absolut notwendig war.
Hot Milk – Pop-Punk mit Wucht
Danach betraten Hot Milk die Bühne – und ich war ehrlich überrascht, wie stark ich ihren Auftritt fand. Technisch sauber, mit ordentlich Druck, Bühnenpräsenz ohne aufgesetzt zu wirken. Es war dieser Mix aus Skatepunk, Pop-Punk und moderner Emo-Kante, der mich sofort abgeholt hat. Erinnerte mich in Momenten an Good Charlotte, aber mit mehr Wucht und Haltung. Besonders der Gesang wechselte spielerisch zwischen Aggression und Melodie – das hatte was Eigenes. Für mich ganz klar das Highlight unter den Vorbands, und ich werde definitiv nochmal in ihre Releases reinhören.
Green Day – Zurück in die Jugend
Gegen 20:50 Uhr begann der eigentliche Wahnsinn – vorerst mit Playback: Queen’s „Bohemian Rhapsody“ dröhnte aus den Boxen, bevor ein als Hase verkleideter Mensch die Bühne betrat und zu den Ramones-Klängen von „Blitzkrieg Bop“ T-Shirts ins Publikum schleuderte. Absurd? Komplett. Aber genau deshalb irgendwie auch charmant.
Dann endlich: Green Day. Und sie legten los wie in den frühen 2000ern – mit „American Idiot“, gefolgt von „Holiday“ und „Know Your Enemy“, bei dem sogar jemand aus dem Publikum auf die Bühne durfte, um mitzusingen. Die Energie war sofort da. Ich fühlte mich schlagartig wie 14.
Zwischen Klassikern und generischen neuen Songs
Mit „Fuck Off“ kam ein neuer Song – in meinen Augen eher generisch und wenig aufregend. Doch dann das Comeback der Nostalgie: „Boulevard of Broken Dreams“ – ein Song, den ich lange nicht hörte, aber sofort wieder mitsang.
Danach eine Phase, in der viele neuere Songs folgten. Ich war da ehrlich gesagt raus. Textlich, musikalisch – nicht mehr ganz mein Green Day. Aber die Reaktion der jüngeren Fans zeigten: Diese Songs haben trotzdem ihr Publikum.
Mit „21 Guns“ und „Minority“ ging’s zurück in vertraute Gefilde, bevor „Basket Case“ das Stimmungsbarometer endgültig nach oben schießen ließ. Klar, ein Klassiker, den jeder kennt – aber deshalb nicht weniger geliebt.
Bei „Wake Me Up When September Ends“ wurde es dann emotional. Ein Song, der persönliche Erinnerungen wachrief – feuchte Augen inklusive. Danach das große Finale mit „Jesus of Suburbia“, bevor der Drummer noch stilecht sein Kit zerdepperte.
Die Zugabe wurde mit „Good Riddance (Time of Your Life)“ eingeläutet – inklusive peinlichem Fan-Moment: Ein Zuschauer durfte auf die Bühne, um das Lied auf Gitarre zu begleiten, versagte aber völlig. Billie Joe unterbrach, nahm die Gitarre selbst – und rettete den Song.
Fazit: Punk, Sellout oder einfach nur Green Day?
Ist Green Day nun Punk oder längst Sellout? Wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Klar – das hier war keine verschwitzte Clubshow vor 100 Leuten. Es war durchinszenierter Stadionrock mit Pyro, Merchwahn und perfekt getaktetem Ablauf. Green Day sind heute mehr Rockstars als Revoluzzer, mehr Entertainment als Eskalation.
Und trotzdem: Da war dieses Community-Gefühl, das man nicht faken kann. Dieses Kollektive, wenn tausende Stimmen „Basket Case“ schreien oder bei „Wake Me Up When September Ends“ leise Tränen fließen. Punk ist eben nicht nur Attitüde – manchmal ist es das Gefühl, nicht allein zu sein, selbst wenn’s groß und laut ist.