Buchreviews dauern bei mir leider immer länger, weil man ja auch die Muße finden muss das ganze durchzulesen… Daher leider etwas verspätet, aber da das Buch ja erst im März erschienen ist, passt das sicherlich noch.
Julia Bassenger verbrachte ihre Kindheit in verschiedenen Städten in verschiedenen Ländern, neben Wien unter anderem auch in Saarbrücken, Feldkirch und Chile. Seit 1990 wohnt sie wieder in Wien. Sie studierte verschiedene Fächer, war eine Zeit lang als DJ tätig, zog zwei Kinder mit ihrem Mann groß und macht auch „seltsame Musik“ mit The Bassenger. Mit Schuhfabrik bleibt! hat sie ihren Debütroman geschrieben. Die Schuhfabrik ist ein fiktives autonomes Zentrum in Wien. Der Roman behandelt das Leben einiger ihrer Bewohner und Aktivisten.
Vorsicht! Ab jetzt wird das Review etwas spoilern, was leider in der Natur der Sache liegt. Andererseits wird einiges auch bereits im Klappentext gespoilert und eine Triggerwarnung wurde dem Buch ebenfalls vorangestellt. Für ganz zartbesaitete ist das Buch auch sicherlich nichts, denn (nicht nur, aber auch) sexualisierte Gewalt, toxische Männlichkeit, Kraftausdrücke, Drogenkonsum und weitere Schandtaten kommen ebenso vor wie Entmannung (auf die man aber lange warten muss), positive Darstellungen von Feminismus, Transpersonen, Homosexualität … kommen ebenso vor. Letzteres sollte aber eh für unsere Leserschaft kein Problem sein.
Es sind jedenfalls verschiedene Lebensentwürfe, die in dem Buch vorkommen, die man so oft in alternativen Zentren auch findet. Vom Drogenwrack bis zum politischen Aktivisten, Menschen aus dem bürgerlichen bis rechtskonservativen Millieu, die mit ihrer Herkunft gebrochen haben, im Begriff zu brechen sind oder damit hadern. Diese verschiedenen Perspektiven im Buch geben ein stimmiges Bild und die einzelnen Episoden und Sprünge sind nachvollziehbar. Da gibt es eine fiktive Punkband, die unter anderem aus einem Pärchen besteht, deren Beziehung unter dem toxisch männlichen Teil leidet, da gibt es die rechtskonservative Burschenschaftsfamilie, bei der Familienstreitigkeiten bei einer Partie Russisches Roulette gelöst werden, da gibt es die Zuhälterfamilie und alles hängt irgendwie zusammen oder auch nicht. Ach ja und eine Ratte spielt natürlich auch noch eine Rolle. Und am Ende soll es heißen: „Schuhfabrik bleibt!“ Hier liegt dann die einzige Schwäche des Buches. Der Titel erweckt eigentlich so die Assoziation, dass das anarchische Zentrum bedroht ist, und das ist es auch im Buch. Allerdings ist dies nur ein Nebenaspekt, der auch nicht wirklich verfolgt wird und sich eher durch Zufall löst. Daher ist der Titel etwas irreführend. „Geschichten aus der Schuhfabrik“ klingt aber wahrscheinlich eher nach Paulaner-Garten.
Bleiben wir lieber beim Positiven: Julia Bassenger hat einen sehr unprätentiösen Schreibstil, der gut lesbar ist. Ab und an kommen geniale Sätze („Kinder waren zu versorgen und ein Bruder zu begraben“), die im Gedächtnis haften bleiben („Er war auch privat ein einziges schwarzes Loch, ein wandelndes Rasiermesser, ein Meer von Red Flags wie am 1. Mai in der Sowjetunion.“) Die Spannungskurve ist für alle Einzelgeschichten gut umgesetzt, alles wenig vorhersehbar und manches überraschend. Zudem: Es gibt immer noch nicht so viele Punkromane und dieser ist wirklich gut erzählt, macht Spaß und bringt das Leben in der Szene ziemlich gut auf den Punkt ohne moralisierend zu wirken. Und wenig PC.
Der Roman ist bei Glitzer & Grind erschienen, deren drittes Werk und ich freue mich jetzt schon auf die nächsten Romane und Sachbücher. Der Buchverlag ist sehr unterstützenswert und auch die Autorin hat es verdient, eine Fortsetzung schreiben zu können. Punks to the bookstore, oder so.