Boysetsfire, Hot Water Music, Be Well, Samiam @Columbiahalle Berlin | 9.10.2022 | (c) coreohgraphy

Das Who is who der Helden meiner Jugend und eine Band von der ich wünschte, es hätte ihre Musik und die Themen, die sie darin behandeln, schon damals gegeben – Dieses absolute Traum-Lineup, bestehend aus Samiam, Hot Water Music, Boysetsfire und Be Well ist gerade auf Europatour und ich hatte das unglaubliche Glück in Berlin mit dabei zu sein.

Zunächst einmal ein Lobgesang auf die Location: Ich liebe die Columbiahalle! Wegen des coolen fotogenen Displays über dem Eingang, so wie ich es aus US Filmen kenne, wegen der Größe und der Raumorganisation. Die Ränge oben sind perfekt für alle, die nicht von Ellenbogen und Bier getroffen werden wollen und trotzdem ganz nah mit dabei sein möchten. Das heißt nicht, dass an diesem Abend irgendjemand von feuchtfröhlicher Agilität verschont bleibt. Ich pendle bei jedem Act zwischen Pressegraben und dort oben und kann kaum einen Unterschied feststellen. Die ganze Columbiahalle ist ein einziges tanzendes, singendes, feierndes Gewimmel. Nachdem alle die durchgetaktete One way Lane zur Garderobe und zurück zum Klo gefunden haben, geht es relativ pünktlich los.

Den Start machen Be Well, die sich trotz Monitoring-Schwierigkeiten professionell geben. Die Band um Frontman Brian McTernan gibt alles und überzeugt durch ihre ehrliche und nahbare Art. Nichts wirkt aufgesetzt, auch nicht die Ansagen zu dem inzwischen ja doch recht gut repräsentierten Thema in der Punk-Hardcore Szene: Mental Health und Depression.
Nach der fast komplett durchgespielten aktuellen EP Hello Sun und einigen Songs ihres Erstlingswerks The Weight and the Cost, ist die Supergroup viel zu schnell wieder fertig. Was bleibt ist der Trost – psst, das hat ein Vögelchen mir gezwitschert – dass sie schon im nächsten Jahr zurück nach Deutschland kommen.
Es wirkt seltsam, dass eine Band mit dieser anbetungswürdigen Starbesetzung, die ganze Zeit Shoutouts vom Stapel lässt in Richtung der anderen Bands, die heute noch folgen werden. Dabei ist dies die einzig authentische Haltung, die zu diesen unglaublich starken, bodenständigen Menschen passt.

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Die zweite Show an diesem Abend spielen Samiam. Im Vergleich zu den anderen Bands an diesem Abend wirkt die Combo ein wenig starr und hat es schwer, das Publikum mitzureißen. Die Klassiker Sunshine und She Found You begeistern trotzdem. An diesem Abend geht es schließlich auch und vor allem um die süße Nostalgie. Schnörkelos spielen die fünf sich durch ihr Repertoire und verstecken dazwischen auch ihren neuen Song Lights Out Little Hustler, der in Sachen Songwriting und Melodie tatsächlich so nahtlos an ihre frühen Stücke anknüpft, dass ich kurz überlege, ob dass dieser neue Song ist, den sie gerade veröffentlicht haben. In perfekt leichter und melodischer Samiam-Manier groovt sich der Song ein und macht neugierig auf das neue Album – nach 11 Jahren.

Und dann zünden Hot Water Music das Feuerwerk.
Chuck Ragan und auch Chris Cresswell sind ja bekannt für ihre unglaubliche Energie und Bühnenpräsenz, aber was sie an diesem Abend mit ihren Bandkollegen darbieten, zieht dem ganzen Saal die Schuhe aus.

In unglaublichem Tempo und mit einer Stimme, die mit den Jahren immer reibeisiger zu werden scheint (wo soll das noch hinführen?) – und ich rede nicht nur von Chuck, sondern auch von Chris – fegen sie über die Bühne und von Song zu Song.
State of Grace, ein Song der ohnehin schon knackig kurz und intensiv ist, peitschen sie in knapp zwei Minuten durch. Pure Ekstase ist das! Und die wird noch einmal getoppt, als plötzlich Boysetsfire Drummer Jared Shavelson den Schlagzeugthron erklimmt. Die Halle bebt und singt und grölt und feiert. Ebenfalls für viel Freude sorgt der kleine Gastauftritt am Mikro von Muff Potter Sänger und Gitarrist und altem Chuck Ragan Freund, Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt.

Nach einer Ode to music, einer Ansprache von Chuck Ragan über die unglaubliche Power von Musik, die uns in die Jahre gekommenen Punk-Hardcore-Liebhaber*innen auch zu besseren Eltern hat werden lassen, ist es leider schon bald vorbei mit dem Hot Water Music Gottesdienst.

 

Komplett fertig und beseelt von dieser Show, die noch ewig so hätte weitergehen können, wartet das Publikum nun auf Boysetsfire. Nach Nathan Grays Coming Out vor einigen Wochen, ist man neugierig wie dieses neue Auftreten, dem Auftritt der Band steht.

Die neue Erscheinung mag, gerade wenn man ihn nicht in den sozialen Medien verfolgt hat, zunächst etwas irritierend wirken, nach einigen Songs ist jedoch klar, dass sich ausser seinem Äußeren nichts geändert hat.

Der Auftritt ist stark und professionell wie eh und je, selbst nachdem gefühlt der Blitz im Monitormischpult einschlägt und mit ohrenbetäubendem Knall nachhallt, kaschiert die Band die Situation geübt und charmant, bis alles wieder gefixt ist. Die Setlist ist anders als sonst, als eingefleischter Boysetsfire Fan, der über die ganzen Jahre so viele Shows mitgenommen hat, fällt mir das sofort auf und ich vermisse einige Klassiker. Das ist aber gar nicht schlimm, sondern verleiht der Show noch den ein oder anderen überraschenden Moment. Denn auch wenn die Band schon die Jahre zuvor nur noch Nachlassverwaltung betrieben hat und den Zauber der Nostalgie auskostet – diesmal wird es mir zum ersten mal schmerzlich bewusst, dass das hier nur noch eine gut einstudierte Aufführung ist, die keinen Raum mehr für etwas besonderes und wirklich berührendes bietet.

Das einzige was sich über die Jahre immer wieder verändert, ist Nathan Gray, der seit Bestehen der Band zwischen vielen Extremen gewandert ist und sich nun nach eigenen Aussagen endlich selbst gefunden hat. Das wünsche ich ihm von ganzem Herzen und man kann es ihm zu gute halten, dass er das, was er immer wortgewaltig skandiert auch wirklich lebt.

Ich bin trotz dieser Erkenntnis, dass man gute Momente immer wieder kosten sollte, oder gerade deswegen glücklich über diese Show. Darüber die alten Songs wie immer mitzusingen, denn auch ich beherrsche das alles, um ehrlich zu sein, aus dem FF.

 

 

Und die Moral: Dieser Abend ist einfach gewaltig und vielleicht auch wegen dieser Erkenntnis, das eben doch nichts für die Ewigkeit ist, so wertvoll. Genießen wir die Momente, die sich uns bieten und halten wir sie in guter Erinnerung. Diesen Abend werde ich auf jeden Fall nicht vergessen.

Chrissy

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– Playlist: Happy Release Day

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