Seit dem 28. Mai 2024 finden wir in der ARD-Mediathek die Dokumentation »Millennial Punk«, welche die letzten groben 25 Jahre des Punk umreißt.
Nachdem wir die Dokumentation gesehen hatten und auch der Premierenfeier beiwohnen durften, blieben allerdings noch ein paar Fragen offen, die wir kurzerhand notierten und den beiden Regieführenden Diana und Felix stellen durften.
Wir wollten keine nerdige Musikdoku mit nervigem Gefachsimpel machen, sondern ein Generationsporträt zeichnen.
AFL: Fangen wir doch mal ganz vorne an, nämlich bei denen ohne die es diese Dokumentation nicht gegeben hätte – nämlich euch.
Diana und Felix euch kennt man ja eventuell bereits von eurem Projekt »A Global Mess«. Stellt euch aber doch trotzdem bitte noch einmal vor und verratet uns doch auch mal wer die anderen beiden Mitstreiter sind.
Diana: Hey Gunnar, freut mich, dass wir auch mal wieder das Vergnügen haben! Also: Ich bin freie Journalistin und die meisten dürften mich von den Büchern »A Global Mess – Eine SubkulTour durch Südostasien« und »Punk as F*ck – Die Szene aus FLINTA-Perspektive« kennen. Im Alltag findet man mich am ehesten bei Instagram, außerdem hoste ich gemeinsam mit der Journalistin Sabrina Waffenschmidt den Podcast »Krawalle & Liebe«, in dem wir gesellschaftliche und popkulturelle Themen aus feministischer Perspektive diskutieren.
Felix: Ich glaube, in der Szene kennt man mich am ehesten wegen des bereits erwähnten Buches und dem dazugehörigen Film »A Global Mess« und meiner früheren Arbeit bei People Like You Records. Unsere »Millennial Punk«-Mitstreiter sind Nico Hamm, der Produzent der Doku, und Flo Wildemann, unser Producer. Wir vier bilden das Kernteam, im Rahmen der Umsetzung sind im Lauf der vergangenen dreieinhalb Jahre aber noch zahlreiche weitere Menschen dazugekommen – beispielsweise Michi Münch, dem wir den grandiosen Schnitt zu verdanken haben. Michi Winkler, der alle Interviews mit seinem Team gefilmt hat. Micha Arens, der den Sound abgenommen und optimiert hat und viele mehr.
Diana: Ja, es gibt viele Michaels bei uns.
Da wir ja nun erfahren haben, wer sich so hinter den Kulissen von »Millennial Punk« herumtreibt, wollen wir aber auch noch wissen, woher ihr euch kennt und wie es zur Idee kam.
Felix: Nico und ich kennen uns seit gut 20 Jahren. In den Nullerjahren hatten wir sogar eine gemeinsame Band, womit wir ja eigentlich schon wieder beim Thema unserer Doku wären. Er hat damals auch angefangen Konzerte zu veranstalten und da Flo Manager der Band Massendefekt ist, mussten sich ihre Wege zwangsläufig kreuzen. Diana und ich haben uns bei People Like You Records kennengelernt, wo sie im Rahmen ihres Studiums damals ein Praktikum gemacht hat. So entstehen über die Jahrzehnte enge Freundschaften und manchmal eben auch coole Projekte.
Diana: Schon verrückt, wie groß die Auswirkungen waren, die dieses Pflichtpraktikum damals hatte… Ich habe in der Zeit ja nicht nur enge Freundschaften geschlossen, sondern auch meinen heutigen Mann kennengelernt. Das heißt, ohne dieses Praktikum sähe mein Leben heute komplett anders aus.
Ihr habt es geschafft das Who-Is-Who des Punks für die Dokumentation vor die Kamera zu bekommen, was ich sehr bemerkenswert finde. An Leute wie Fat Mike heranzukommen, ist ja nicht gerade leicht. Wir haben auch jahrelang Klinken geputzt, bis es endlich mit einem Interview geklappt hat. Gibt es Künstler*innen die ihr gerne noch dabeigehabt hättet, an die aber kein rankommen war bzw. die euch direkt eine Abfuhr erteilt haben?
Diana: Natürlich darf man an so ein Projekt nicht aus einer Fan-Perspektive herangehen. Wir haben geschaut, welche Personen sich für die Abdeckung verschiedener Themenbereiche besonders gut eignen – weil sie entweder eine bestimmte musikalische Sparte bedienen, sich politisch engagieren oder schlichtweg ein bestimmtes Alter haben. Das heißt, an oberste Stelle stand immer die Frage: Welche Perspektiven sind uns wichtig?
Felix: Und dann haben wir uns gemeinsam überlegt, wer diese am besten beleuchten kann. Tatsächlich hatten wir alle vier noch eine ganze Reihe weiterer Bands auf dem Zettel, die wir privat gerne hören, aber die schlichtweg keine neue Perspektive ergänzt hätten. Irgendwann mussten wir den Sack zumachen, schon alleine, um nicht den Überblick über das Material zu verlieren. Und ein paar wenige Absagen gab es natürlich auch – die waren jedoch meist terminlich oder coronabedingt.
Wie habt ihr überhaupt die Auswahl der Protagonist*innen getroffen? Mir wären da noch ein paar Personen eingefallen, die gut gepasst hätten. Dann wäre die Dokumentation aber überflutet gewesen. Ich stelle es mir echt schwierig vor, da eine Auswahl zu treffen.
Diana: Du kannst 50 durch Punk sozialisierte Menschen fragen, wer ihnen in der Doku gefehlt hat – uns eingeschlossen – und du wirst 50 verschiedene Antworten bekommen. Wir sind da wirklich sehr systematisch vorgegangen. Zu Beginn haben wir alle eine Liste mit Bands in die Runde geworfen, die wir uns gut in der Doku vorstellen konnten. Diejenigen, die auf allen vier Listen standen, wurden direkt angefragt. Bei den Akteur*innen mit weniger Stimmen haben wir genauer hingeschaut und abgewogen, welchen inhaltlichen Mehrwert sie beisteuern können. Außerdem wollten wir möglichst viel Identifikationspotenzial schaffen und haben bewusst auf ein diverses „Line-up“ geachtet. Und zwar nicht nur in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, sondern auch hinsichtlich des Alters oder der Größe der Bands. Das heißt, im letzten Schritt haben wir auch noch mal ganz bewusst hingeschaut, welche „Gruppe“ wir noch nicht bzw. nicht ausreichend repräsentieren – und in den Fällen haben wir dann noch mal gezielt recherchiert, wer diese Lücken füllen könnte. Am Ende geht es bei einem solchen Format ja nicht darum, welche Buddies gefeatured werden, sondern wer den Zuschauenden etwas erzählen kann, was sich von dem Gesagten der anderen unterscheidet.
Diana, wir hatten mal Ende 2022 geschrieben und da saßt ihr, glaube ich, ja bereits an »Millennial Punk«. Wie lange habt ihr denn vom ersten Treffen bis zur Fertigstellung tatsächlich daran gesessen?
Diana: Dreieinhalb Jahre. Wir haben im Januar 2021 mit der Arbeit an der Doku begonnen, also noch bevor es die Idee zu dem Buch »Punk as F*ck« gab, das ja bereits vor zwei Jahren erschienen ist. Es ist wirklich crazy.
Felix: Im ersten Jahr haben wir geschaut, wo die Reise inhaltlich überhaupt hingehen soll und dann auch direkt die Protagonist*innen angefragt. Außerdem haben wir parallel bereits die Idee beim SWR gepitcht. Im zweiten Jahr wurden die Interviews dann in fünf größeren Blöcken in ganz Deutschland gedreht. Und im dritten Jahr startete die sehr arbeitsintensive Postproduktion. Kann man sich vorher nicht ausmalen, was das alles betrifft. Da muss man wohl dabei gewesen sein.
Was war im Nachhinein die größte Herausforderung bei der Dokumentation und gab es auch Punkte an denen ihr dachtet, dass euer Projekt scheitert?
Diana: Ab dem Moment, wo wir mit dem einen öffentlich-rechtlichen Produktionspartner an Bord hatten, durfte es ja schlichtweg nicht mehr scheitern. Das hat stellenweise natürlich auch den Druck erhöht, weil es viele Deadlines sowie regelmäßige Calls und Meetings gab, aber wir hätten eh nicht hingeschmissen. Ich glaube, dafür sind wir alle zu lange im Geschäft, bei allem Herzblut war es ab einem gewissen Punkt ja auch einfach Teil unserer Jobs und unseres Berufsalltags.
Die Szenerie in denen ihr die Gespräche geführt habt, hat mich kurzzeitig an die Doku-Serie »A True Story Of Punk« erinnert, welche ich teilweise überragend und dann wieder eher befriedigend empfand. Habt ihr sie auch geschaut und habt ihr bei dieser auch bisschen gespickt, was ihr anders machen wollt?
Felix: Man kann sogar sagen, dass »True Story of Punk« die Initialzündung für unsere Doku war. Wir haben den Vierteiler damals auch alle gesehen und waren extrem geflasht – gleichzeitig aber auch etwas enttäuscht, weil der letzte Teil in den Neunzigern endete, wo es für uns gerade erst losging und mal wieder nur die Szene in UK und den USA beleuchtet wurde. Nico hatte dann die zündende Idee, eine eigene Doku-Serie zu machen, die unsere Generation abbildet. Da war »A True Story Of Punk« definitiv ein Vorbild für uns, wir wollten aber auch keinen Abklatsch machen. Der Aufbau, die Art der Interviews sowie der Schnitt unterscheidet sich ja auch enorm.
Die letzten groben 25 Jahre des Punk zu umreißen, ist weiß Gott keine einfache Aufgabe. Ihr habt euch dabei ja verschiedenen Themen dieser Zeit angenommen, wie z.B. #PunkToo oder auch Napster & Co. Aber das sind ja nicht die einzigen Themen, die Punk in den letzten Jahren bewegt haben. Wie habt ihr die Auswahl der Thematiken getroffen?
Diana: Wir wollten keine nerdige Musikdoku mit nervigem Gefachsimpel machen, sondern ein Generationsporträt zeichnen. Daher war schnell klar, dass wir den Zeitgeist der Nullerjahre erlebbar machen müssen. So kam es zu der Throwback-Folge, mit der die Reihe startet. Außerdem stand fest, dass unsere Generation die einzige ist, die sowohl analog als auch digital aufgewachsen ist und beide Seiten kennt. Deshalb steht in der dritten Folge die Digitalisierung im Zentrum. Außerdem wollten wir dahin gehen, wo es wehtut und auch die politischen Seiten von Punk beleuchten. Dabei hat sich schnell herauskristallisiert, dass wir das Thema Antirassismus, also den kleinsten gemeinsamen Nenner der Szene, und das Thema (Queer-)Feminismus voneinander trennen müssen. Denn gerade feministische Stimmen werden in den letzten Jahren ja immer lauter und führen zudem auch regelmäßig zu Verwerfungen innerhalb der Subkultur. Diese beiden politischen Felder sollten sich innerhalb einer Folge nichts wegnehmen, weshalb wir diese Themen voneinander getrennt haben.
Soweit ich es gerade auf dem Schirm habe, habt ihr mit Ausnahme von Fat Mike größtenteils deutschsprachige Protagonist*innen ans Mikrofon gebeten. Wolltet ihr euch von Anfang an vorwiegend auf den deutschsprachigen Raum beschränken oder ist das dann so gewachsen?
Felix: Ja, wir wollten von Anfang an einen Einblick in das Lebensgefühl unserer eigenen Jugend geben, denn Dokus mit einem UK- bzw. USA-Fokus gibt es ja bereits genug. Mike als einen „Externen“ in die Doku zu holen, der von außen draufschaut, hat sich angeboten, weil wirklich keine andere Band häufiger als prägender Einfluss genannt wurde als NOFX. Außerdem war uns klar, dass die Band eine besondere Beziehung zum deutschsprachigen Raum hat, schon allein, weil »Rock Against Bush« einen riesigen Einfluss auf unsere Szene hatte.
Gibt es rund um die Dokumentation ein paar lustige Anekdoten, die ihr mit uns teilen wollt?
Diana: Vor allem die Zeit, in der wir gedreht haben, war unfassbar schön. Wir hatten ja gerade erst ein Jahr voller Lockdowns hinter uns und haben es einfach total genossen, zusammen unterwegs zu sein und diese ganzen tollen Leute zu treffen. Und die hatten natürlich auch Bock. Meistens haben wir drei Interviews pro Tag gedreht und auch am Set gewohnt, da blieb es natürlich nicht aus, dass die letzten Interview-Partner*innen oft noch bis in die Nacht geblieben sind und wir zusammen gefeiert haben. Aber ich sage mal so: Was beim Dokudreh passiert, bleibt beim Dokudreh.
Wie ist denn eigentlich die Zeit nach der Mediathek geplant, also wenn die Doku aus der Mediathek genommen wird? Wird es »Millennial Punk« dann trotzdem weiterhin als Stream zu sehen geben?
Felix: Geplant ist noch nichts, aber irgendwas wird uns da schon einfallen. Wir wollen ja auch nicht, dass unser Werk irgendwann verschwindet… Wobei, Millennials wissen ja bekanntlich, wie man digitale Werke auch über inoffizielle Umwege bekommt, lol.
Vielen Dank für diese tolle Dokumentation und wir sind bereits auf eure nächsten Projekte gespannt.
Diana: Wir auch! Danke für das Gespräch.