Freewill aus Kalifornien legen mit All This Time (passender Titel…) ihr erstes Album seit 30 Jahren vor. Die Presseinfo strotzt vor Namedropping: East Coast meets West Coast, Members of Strife / Outspoken, FFO Dag Nasty, Embrace, Descendents, 7 Seconds. Das ganze weckt Erwartungshaltungen und legt die Messlatte erstmal recht hoch.
Leider zu hoch, bzw. eher eine unzutreffende Messlatte. An Dag Nasty fühlt man sich schon erinnert, Embrace ist schon weiter weg. Für Descendents und 7 Seconds fehlt den Songs schlicht das Tempo und mit Hardcore der Marke Strife und Outspoken hat das ganze nun mal leider gar nichts zu tun. Bei ihrem erst im Jahr 2016 veröffentlichten, aber 28 Jahre alten ersten Album Sun Return klang das noch anders und auch der Song Why I’m Not Myself vom Conne Island Benefiz Sampler aus dem letzten Jahr klingt wie aus der Zeit damals.
Auf All This Time liefern Free Will stattdessen 11 Alternative Rock Songs mit Punkrock Einflüssen im Midtempo Bereich. Die späten Releases von Samiam kommen hier musikalisch vielleicht als Orientierung in Frage. Klassische Besetzung mit zwei Gitarren, Bass und Drums ohne Schnickschnack. Die Melodien heben sich angenehm vom 3-Akkorde-Einheitsbrei ab und liegen gerne auch mal quer. Das funktioniert zumeist recht gut. Gleichzeitig wird jede*r aber auch Tracks haben, die aufgrund der manchmal dissonanten, nicht Pop-Hookline-Melodieführung zwar Wiedererkennungspotenzial haben, aber nicht unbedingt als Ohrwurm hängenblieben. Gerade das Titelstück All This Time ist so ein Kandidat.
An der Stimme von Paul Cranston wird sich vermutlich auch der ein oder andere Geist scheiden. Diese klingt relativ monoton und gepresst. Ausbrüche halten sich in Grenzen, sind dann aber umso positiver, wie z.B. in The Story. An vielen Stellen wird mit Zweitstimmen gearbeitet, ebenfalls von Cranston eingesungen. Hier hätte eine zweite Klangfarbe bestimmt gut getan.
Die Produktion von All This Time ist definitiv im Jahr 2022 angekommen. Sehr transparent, nicht überladen, so dass man beispielsweise die zwei Gitarrenspuren wunderbar differenzieren kann und auch die Becken sehr klar heraushören kann.
Im Songaufbau bedient sich die Band i.d.R. dem Standardaufbau aus Strophe, Bridge, Refrain. Die Lieder bauen sich meist um ein zentrales Motiv auf, das im Intro und als Versatz zwischen Refrain und Strophe verwendet wird.
Will man sich All This Time nähern, sollte man als erstes alle Erwartung aus Namedropping und Presseinfo abschütteln und sich dann mit der Platte beschäftigen. Dann erwartet einen eine gefällige Alternative Punk Platte, die entdeckt werden will. Die Songs hechten nicht der nächsten Pop-Hookline hinterher, was sie zum Teil erstmal weniger zugänglich, schlussendlich aber hoffentlich auch langlebiger macht.
Tracklist
- Leting Go
- Stay Here
- You
- Past Tense
- The Show
- Race To The Bottom
- All This Time
- You Know Me
- Pedestrians
- The Story
- A Bridge To Nowhere