#punktoo: Interview mit Aktivistin Diana

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#punktoo_Diana Ringelsiep

Ein Hashtag – viele Wortmeldungen, viele Anschuldigungen, ja sogar Beleidigungen. Selten gab es innerhalb der Szene so kontroverse Diskussionen wie zuletzt rund um #punktoo.
Darum haben wir einmal mit Journalistin, Autorin und Aktivistin Diana Ringelsiep über Sexismus innerhalb unserer Szene gesprochen und zumindest ich kann sagen, ich bin am Folgetag mit anderen Gedanken in den Tag gestartet.

Grundsätzlich ist es ja auch erst mal vollkommen menschlich, Anschuldigungen reflexartig von sich zu weisen. Peinlich wird’s erst, wenn man dauerhaft den Dialog verweigert und beleidigt auf seinem überholten Standpunkt verharrt. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass nach der ersten Trotzphase vielleicht doch noch bei einigen die Erkenntnis durchsickert, dass wir ihnen nicht persönlich ans Bein pissen, sondern die Szene zu einem solidarischeren Ort machen wollen.

Sexismus im Punk: Über kaum ein anderes Thema wird innerhalb unserer Szene so stark diskutiert und das, obwohl es eigentlich schon immer aktuell war.
So kann ich mich noch sehr gut daran erinnern, als ich vor zig Jahren auf einer Show feststellen musste, dass ich fast nur von männlichen Wesen umgeben war. Ich fragte mich natürlich warum und fand die Lösung im darauffolgenden Festivalsommer.
Dort wurde z. B. der Gang durch die Zeltstädte für manche Frau zum Spießrutenlauf. „Free Hugs“ und Kerle, die die Körper der Vorbeilaufenden mit Pappschildern bewerteten – wer kennt das nicht? Ganz zu schweigen von unsittlichen Berührungen im Publikum und beim Diven. Gerade letzteres hat mich immer besonders angewidert und mir so manches Mal die Stimmung versaut.

Wie sind denn deine Erfahrungen, was Festivals und Shows angeht?

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Diana: Ich finde es interessant, dass du diesen „Walk of Shame“ ansprichst, der auf Festival-Campingplätzen dazugehört wie Ravioli und Dosenbier. Denn viele Männer nehmen gar nicht wahr, wie sehr dieses „witzige“ Mackerverhalten die gesamte Atmosphäre vergiftet. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich auf dem Hurricane Festival vor etwa 15 Jahren im Vorbeigehen erstmals von einem Besoffenen mit Megaphon bewertet wurde.
Er verkündete, dass mein kurzer Rock ihn zwar auf schmutzige Gedanken bringe, aber dass ich aufgrund meiner (damals) grünen Haare für seinen Geschmack zu ungepflegt aussähe und deshalb leider kein Foto bekäme. „Germanys Next Topmodel“ war damals noch ganz neu und der Spruch ein Running-Gag.
In dem Moment waren alle Blicke auf mich gerichtet, die Kumpels des Typen grölten und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Für den Rest des Wochenendes nahm ich zum Dixi jedes Mal einen Riesenumweg in Kauf, weil ich keine Wiederholung riskieren wollte.

AFL: Nimmst du die Atmosphäre auf Festivals seitdem anders wahr?

Seit diesem Erlebnis scanne ich immer meine Umgebung und den Weg zum Klo immer genau, bevor ich mein Zelt aufbaue, doch entkommen kann ich den widerlichen Sprüchen und dem Catcalling als weiblich gelesene Person natürlich nicht.
Interessanterweise fühlte ich mich damals weniger als Frau, sondern mehr als Punk angegriffen. Schließlich hatte der Kerl sich auf meine gefärbten Haare bezogen, weshalb ich den Vorfall auf die Zielgruppe des kommerziellen Festivals schob, das damals übrigens noch halb so viele Besucher*innen zählte.
Rückblickend war das eine Art Schutzmechanismus. Denn in meiner Rolle als Punk ist es natürlich meine Absicht zu provozieren, was jedoch auch immer die Option beinhaltet, meinen Look verändern und meine „Angriffsfläche“ verkleinern zu können. Mein Geschlecht habe ich mir hingegen nicht ausgesucht. Ich kann es nicht ausziehen wie eine zerrissene Strumpfhose oder einen Nietengürtel, weshalb ich den sexistischen Kommentaren und dem übergriffigen Verhalten ungewollt und dauerhaft ausgeliefert bin. Ich wollte damals so gerne glauben, dass die Punkszene ein Safe-Space ist, in dem wir unter unseresgleichen sein können, ohne belästigt zu werden und uns dumme Sprüche anhören zu müssen. Doch dieses Privileg genießen nur Männer, alle anderen sind auch auf Punkshows sexistischen Anmachen, übergriffigem Verhalten und Moshpit-Grapschern ausgeliefert.

AFL: 2018 bist du mit Felix Bundschuh für euer Projekt A Global Mess durch den subkulturellen Underground Südostasiens gereist. Hast du dort ähnliche Beobachtungen gemacht oder ist das deiner Meinung nach eher ein mitteleuropäisches Problem?

Das ist nicht so leicht zu beantworten, da ich in Asien beispielsweise nur Clubshows und keine Festivals besucht habe. Ich betone das, weil ich in Deutschland oft das Gefühl habe, dass sich die Leute bei kleinen Konzerten besser benehmen. Zudem waren die einzelnen Länder, die wir bereist haben, alle von Grund auf verschieden und unsere Zeit vor Ort war begrenzt. Wie repräsentativ ist es also für die Punkszene Malaysias, dass wir in Kuala Lumpur zufällig in einem autonomen Zentrum gelandet sind, das von politischen Aktivist*innen betrieben wurde? Wahrscheinlich gar nicht, denn wir hätten an jenem Abend genauso gut auf der Show einer Green-Day-Coverband in Downtown landen können. Daher betrachten wir die Einblicke, die wir dort erhalten haben, als Momentaufnahmen und das gilt auch für das Thema Sexismus.
Ja, es hat Konzerte gegeben, bei denen ich die einzige Frau im gesamten Club war. Wir sind aber auch immer wieder Hidschab-tragenden Riot Grrrls begegnet und haben Bands kennengelernt, die dieselben sexistischen Strukturen anprangern, mit denen auch wir zu kämpfen haben. Sexismus ist ein weltweites Problem, das in allen Gesellschaftsschichten, Branchen und (Sub-)Kulturen zu finden ist. Natürlich gibt es unterschiedliche Ausprägungen, aber ich persönlich halte nichts davon, Ranglisten zu erstellen, wo es am Schlimmsten ist – denn das führt bloß dazu, dass sich die Arschlöcher auf den billigen Plätzen zurücklehnen und keinen Handlungsbedarf sehen.

AFL: Wie bereits angesprochen, handelt es sich dabei ja um kein neues Problem aus den Jahren 2020 und 2021, sondern um ein generationsübergreifendes. Ich möchte den Blick aber gerne auf unserer Szene belassen, in der die Augen schon viel zu lange vor Sexismus verschlossen wurden.
Ehrlich gesagt, habe auch ich das eine ganze Zeit gemacht und habe definitiv auch sexistisch gedacht oder ggf. sogar gehandelt.
Prinzipiell bekamen Ansagen gegen Sexismus ja aber immer Applaus und nun scheint dieses nicht mehr so. Woran liegt das deiner Meinung nach ?

Mir wurde in letzter Zeit wiederholt von älteren Herren vorgeworfen, dass ich mir das Thema bloß auf die Fahnen schreiben würde, weil Feminismus gerade „hip“ sei. Tatsächlich setze ich mich jedoch schon seit etwa zehn Jahren mit feministischen Themen, veralteten Rollenbildern und gesellschaftlichen Ungleichheiten auseinander – denn einmal erkannt, lassen sich die diskriminierenden Strukturen als Betroffene nicht mehr ausblenden. Bisher gingen meine Postings und Artikel zu dem Thema bloß den meisten Szeneleuten am Arsch vorbei. Denn was ich schrieb, war im weitesten Sinne gegen die Gesellschaft gerichtet und dafür gab’s in der Regel einen (unreflektierten) Like aus Prinzip.
Die Stimmung kippte erst, als meine Mitstreiter*innen und ich anfingen, auch die sexistischen Strukturen innerhalb der Szene aufzuzeigen.
Viele Punks der älteren Generation sind unfassbar stolz darauf, diese Subkultur mitaufgebaut und sich der Welt der Spießbürger*innen gewissermaßen entzogen zu haben. Und plötzlich kommen wir daher und konfrontieren sie mit der Tatsache, dass sie sich bloß ein Parallel-Patriachat aufgebaut haben. Ist doch klar, dass sie das nicht wahrhaben wollen.

AFL: Letztendlich ist es ja auch egal, ob man bereits seit Jahrzehnten gegen die Strukturen angekämpft hat oder es erst seit Neuestem tut. Die Hauptsache ist doch, dass man überhaupt etwas macht und beiträgt. Denn nur so steuern wir einer positiven Entwicklung in der Szene entgegen, die eigentlich alle befürworten sollten. Dennoch bekommt #punktoo viel Gegenwind. Worin siehst du dafür den Grund und warum passierte das alles gerade jetzt?

Die Punkszene ist für viele selbst ernannte Underdogs immer ein Wohlfühlort gewesen und sie haben schlichtweg keinen Bock auf Ärger im Paradies.
Grundsätzlich ist es ja auch erst mal vollkommen menschlich, Anschuldigungen reflexartig von sich zu weisen. Peinlich wird’s erst, wenn man dauerhaft den Dialog verweigert und beleidigt auf seinem überholten Standpunkt verharrt. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass nach der ersten Trotzphase vielleicht doch noch bei einigen die Erkenntnis durchsickert, dass wir ihnen nicht persönlich ans Bein pissen, sondern die Szene zu einem solidarischeren Ort machen wollen.
Um auf deine Frage zurückzukommen, warum das alles gerade jetzt passiert: Was wir in den vergangenen Monaten beobachten konnten, war ein klassischer Schneeballeffekt. Mit jedem neuen Artikel, jedem Statement und jedem Social-Media-Post zu #punktoo haben sich weitere Betroffene aus der Deckung getraut. Auf einige Leute mag das wie ein „Modetrend“ wirken, doch in Wahrheit realisieren viele Betroffene gerade, dass sie mit ihren Sexismus-Erfahrungen in der Punkszene nicht alleine dastehen – das ermutigt sie aktiv zu werden.
So gesehen haben die eingangs erwähnten Herren ja nicht ganz Unrecht: Die feministische Bewegung findet bereits seit dem 19. Jahrhundert in wiederkehrenden Wellen statt und wenn „hip sein“ bedeutet, dass sich gerade die nächste auftürmt, dann lasse ich mich gerne von ihr mitreißen.

…es geht nun mal nicht darum, alles richtig zu machen. Es geht darum, weniger falsch zu machen.

AFL: Das Thema spaltet ja auch. So hat sich zum Beispiel ein ehemaliger Schreiber von uns, von seinem Online-Zine verabschiedet, weil es innerhalb der Redaktion zu Sexismusvorwürfen gekommen ist. Ganz zu schweigen von diversen Debatten rund um das Ruhrpott-Rodeo und um das Plastic Bomb. Warum gehen so viele Parteien im Streit auseinander?

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Kampf um Gleichstellung spaltet und stellenweise zu verhärteten Fronten führt. Egal, um welche Form struktureller Diskriminierung es sich handelt, die Nutznießer*innen von Sexismus, Rassismus, Klassismus usw. werden sich niemals freundlich für den Hinweis bedanken, ungerechtfertigte Privilegien zu genießen und widerstandslos Platz für andere machen.
Trotzdem bin ich überrascht, wie schnell viele Szeneakteur*innen das Handtuch werfen, sobald sie mit Kritik konfrontiert werden. Die Bereitschaft, das eigene Handeln zu reflektieren, Fehler einzuräumen und sich ernsthaft mit sexistischen Diskriminierungen im eigenen Umfeld auseinanderzusetzen ist in vielen Fällen gleich Null. Zudem scheinen einige Leute zu erwarten, dass wir ihren Support mit einer Unfehlbarkeitsbescheinigung quittieren. Aber es geht nun mal nicht darum, alles richtig zu machen. Es geht darum, weniger falsch zu machen.

AFL: Da kann ich dir nur beipflichten und wie gesagt: Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich nie sexistisch gehandelt hätte und dass mir heute – wenn auch unbewusst – nichts mehr in die Richtung passiert. Wir müssen uns dessen bewusstwerden und aktiv an uns arbeiten, um diese von Kindheitsbeinen an verinnerlichten Geschlechtermuster loszuwerden. So sähe zumindest eine positive Entwicklung aus, die Punk ja eigentlich entsprechen sollte, oder?

Wir sind alle mit diesen Mustern und toxischen Geschlechterrollen aufgewachsen und haben sie komplett verinnerlicht. Auch ich habe rückblickend mitunter sexistisch bzw. unsolidarisch gehandelt, weil ich es nicht besser wusste – das ist ja kein reines Männerproblem.
Wir müssen jedoch bereit sein, unser eigenes Handeln zu reflektieren. Nur dann können wir den über viele Jahre antrainierten Sexismus Schritt für Schritt wieder verlernen. Und genau da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn viele Akteur*innen sehen gar nicht, was alles falsch läuft und werden sie darauf aufmerksam gemacht, reagieren viele sehr empfindlich und haben direkt keinen Bock mehr.
Ich wurde zum Beispiel schon öfter gefragt, ob es wirklich nötig sei, die betreffenden Fanzines, Veranstaltungen und Bands im #punktoo-Zusammenhang gelegentlich beim Namen zu nennen – da sei der Ärger schließlich vorprogrammiert.
Natürlich ist er das! Und ich würde lügen, wenn ich sagte, dass mir das keine Bauchschmerzen bereitet. Denn ob du’s glaubst oder nicht, einige dieser Institutionen schätze ich trotz allem sehr und ich hoffe nach wie vor, dass sie sich ihrer Verantwortung endlich bewusstwerden. Doch ihre Namen nicht zu nennen, würde lediglich dazu führen, dass sie sich nicht angesprochen fühlen, obwohl sie ein Teil des Problems sind und die Macht haben, etwas zu verändern.
Leider können einige Akteur*innen nicht zwischen Kritik am sexistischen System und Kritik an ihrer Person unterscheiden. Sie fühlen sich persönlich angegriffen, missverstanden und in die Ecke gedrängt. Das nervt, denn es sollte in dieser Debatte ausnahmsweise mal nicht um sie gehen.

Mit anderen Worten: Lieb nachfragen hat nicht funktioniert und deshalb haben wir verdammt noch mal ein Recht darauf, wütend zu sein.

AFL: Der Prozess, den du beschreibst, wird oftmals abgelehnt und das teilweise sogar sehr aggressiv. Ich frage mich generell, warum in dieser Diskussion so viel Aggressivität und Verallgemeinerung mitschwingt und das, meiner Meinung nach, auch auf beiden Seiten. Worin siehst du dafür den Grund?

Um ehrlich zu sein, nervt es mich langsam, dass man uns ständig durch die Blume sagt, dass wir unseren Ton zügeln und weniger aggressiv auftreten sollten. Wir hören uns seit Jahren das sexistische Gelaber irgendwelcher Dudes an, die Punkfestivals mit dem Ballermann verwechseln. Wir lesen Fanzines, in denen überwiegend Männer für Männer über Männer schreiben. Wir bezahlen Eintritt für Shows, bei denen größtenteils Typen auf der Bühne stehen und bei denen Frauen im Publikum blöd angemacht oder sogar begrapscht werden. Mit anderen Worten: Lieb nachfragen hat nicht funktioniert und deshalb haben wir verdammt noch mal ein Recht darauf, wütend zu sein.

AFL: Ich widerspreche dir in diesem Punkt auch überhaupt nicht. Natürlich habt ihr ein Recht darauf, wütend zu sein. Irgendwann platzt so eine Bombe, die meisten von uns (mich eingeschlossen) haben schließlich dafür gesorgt, dass sich die Sprengkraft überhaupt entwickeln konnte. Dennoch muss ich da noch mal einhaken.
Die von dir angesprochenen Dinge sind meiner Meinung nach alle voneinander abhängig. So liegt das Grundproblem doch am Verhalten vieler Männer auf Shows und Festivals. Wenn sich Frauen dort also in jungen Jahren schon nicht wohlfühlen, ist es natürlich schwer für sie, in die Szene hineinzuwachsen. Denn der „normale“ Prozess sieht doch so aus, dass man die Shows anfangs nur besucht und erst später selbst in der Szene aktiv wird. Bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass es automatisch mehr Frauen in Bands und anderen Bereichen gäbe, wenn diese sich bei Shows und Konzerten wohler fühlen würden?

Nein, das ist zu kurz gedacht. Die Männer, die bei Konzerten dafür sorgen, dass sich FINTA* (Frauen, Intersexuelle Personen, Nicht-Binäre Personen, Trans Personen und Agender) unwohl fühlen, sind ja bloß die Spitze des Eisbergs.
Selbst wenn es künftig keine Übergriffe – in Form von verbaler Belästigung bis hin zu Handgreiflichkeiten – mehr geben würde, hätten wir trotzdem noch mit 300 anderen Facetten von Sexismus zu kämpfen, die sich dadurch nicht einfach in Luft auflösen würden. Natürlich gibt es Frauen, die sich gegen eine eigene Band entscheiden, weil sie keinen Bock haben, sich vor ein sabberndes Publikum auf die Bühne zu stellen, das „Ausziehen“ brüllt. Die meisten werden jedoch gar nicht erst gefragt, ob sie an der Gitarre, in der Redaktion oder im Booking einsteigen wollen. Sie werden von ihren männlichen Bekannten schlichtweg nicht mitgedacht und somit ausgegrenzt.
Dennoch ist das Hauptproblem nicht, dass es zu wenig Bands mit FINTA*-Beteiligung gibt – sondern die Tatsache, dass die vorhandenen Bands oftmals nicht gebucht werden, weil sie angeblich noch zu unbekannt oder nicht gut genug sind. Das ist ja sowieso der größte Witz: Ich habe tatsächlich schon mit einem Veranstalter gesprochen, der mir erzählte, dass Frauen selbst schuld seien, wenn sie sich nicht auf die Bühne trauen, da Punk schließlich kein Talent voraussetze. Und keine fünf Minuten später räumte er ein, dass er selbst auch nicht so gerne „female fronted“ Bands buche, da Frauenstimmen so anstrengend seien. Keine Pointe. Mich würde ja mal interessieren, wie viele Absagen Claus Lüer schon mit der Begründung bekommen hat, dass er nicht singen könne und seine Stimme zu anstrengend sei. Und ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich ein großer Knochenfabrik-Fan bin, weil genau das die Band ausmacht. Ich frage mich bloß, wieso dahingehend ständig mit zweierlei Maß gemessen wird. Wenn ein Mann nicht singen kann, ist das Punk. Wenn eine Frau nicht singen kann, soll sie die Fresse halten. Was soll das?!

AFL: Glaubst du, dass die bereits angesprochenen überholten Rollenbilder etwas damit zu haben?

Auf jeden Fall. Jungen werden ihr Leben lang darin bestärkt, mutig, durchsetzungsstark und selbstbewusst zu sein. Wohin sie auch schauen, sehen sie abenteuerlustige Typen, die ihre eigene Geschichte schreiben: Genau wie Simba aus „König der Löwen“, Marty McFly aus „Zurück in die Zukunft“, „Die drei ???“, die „Ghostbusters“, „Ninja Turtles“ und nicht zu vergessen, die Spieler der Fußball-Nationalelf sowie 98 Prozent aller Bands, die sie je live gesehen haben.
Mädchen wird hingegen eingetrichtert, dass sie leise, hübsch und brav sein müssen. Anstatt sich zu behaupten und ihren Platz einzufordern wird ihnen so eine Scheiße wie „Die Klügere gibt nach“ und „Wer schön sein will muss leiden“ eingetrichtert. Daher wird ihnen schon früh klar, dass sie sich mit weniger zufrieden geben und die Nebenrolle spielen müssen – genau wie die „Freundinnen von“ Simba, McFly & Co. Oder die Fußballerinnen der Frauen-Nationalmannschaft, deren Namen niemand kennt.
Sexuelle Übergriffe sind eben immer nur Teilaspekt von Sexismus. Fehlende Rolemodels, internalisiertes Konkurrenzdenken, Slut- und Bodyshaming sowie Silencing und misogyner Hass im Netz tragen genauso zu dem Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft beziehungsweise Subkultur bei.

Ich will keine männerfreie Szene. Ich will mich bloß mit weniger Arschlöchern umgeben und mir gemeinsam mit meinen Verbündeten das Privileg erkämpfen, nicht länger wütend sein zu müssen. Wer uns wirklich dabei unterstützen will, ist jeder Zeit willkommen.

AFL: Ich möchte gerne noch mal auf den Punkt mit der „Aggressivität“ zurückkommen. Klar ist, dass ihr wütend sein dürft und dass wir eigentlich alle wütend sein müssten. Dennoch wird in der Debatte leider oft verallgemeinert. Zum Beispiel, wenn gesagt wird, dass die Punkszene nur aus alten weißen Männern bestünde, die ewig gestrigen Gedanken nachhängen, was definitiv nicht so ist. Schließlich gibt es auch viele Männer, die #punktoo beipflichten und helfen wollen, die Szene bunter und diverser zu gestalten. Solche Verallgemeinerungen führen mitunter dazu, dass sich die Fronten weiter verhärten und bringen den Prozess nicht unbedingt voran. Wie siehst du das?

„Frauen sind voll zickig.“

„Schwarze haben den Rhythmus im Blut.“

„Die jungen Leute wissen gar nichts mehr zu schätzen.“

„Schwule sind alle sehr nah am Wasser gebaut.“

Je weniger Privilegien eine Person in unserer Gesellschaft genießt, desto mehr Schubladen voller Vorurteile und Verallgemeinerungen gibt es, in die sie ungefragt einsortiert wird.
Der „kriminelle Ausländer“ wird das genauso bestätigen können wie die „verfressene Dicke“ oder die „unterdrückte Muslima“. Der alte weiße Mann ist es hingegen nicht gewohnt, mit anderen über einen Kamm geschoren werden – vor allem, wenn er cis und hetero ist.
Keine andere Personengruppe bleibt von struktureller Diskriminierung so konsequent verschont wie „alte weiße Männer“. Und genau darauf zielt der Begriff ab, der ihnen lediglich ein Gefühl davon vermitteln soll, wie es ist, ständig Verallgemeinerungen ausgeliefert zu sein.
Die Taktik funktioniert besser als gedacht. Es ist erstaunlich, wie heftig bei manchen Kandidaten die Sicherungen durchknallen, wenn sie mit dem Begriff konfrontiert werden – zumal dieser ja erst mal bloß Tatsachen beschreibt. Es macht sie so wütend, zum ersten Mal in ihrem Leben ungefragt in eine Schublade gesteckt zu werden, dass sie dabei vollkommen übersehen, dass wir ihnen bloß vor Augen führen wollen, wie scheiße es ist, nicht als Individuum mit eigenen Stärken und Fähigkeiten wahrgenommen zu werden. Inzwischen steht der Begriff daher vor allem für Männer, die sich weigern, ihre Privilegien zu reflektieren und die Notwendigkeit feministischer Arbeit in Frage stellen. Das tatsächliche Alter spielt dabei kaum eine Rolle. Es gibt auch 22-Jährige, die sich wie alte weiße Männer aufführen. Unsere wahren Verbündeten diskutieren übrigens gar nicht erst über den Begriff. Im Gegenteil, die meisten verwenden ihn selbst.

AFL: Auf der #punktoo-Seite war neulich ein Statement zu lesen, dass mit den Worten „Kick cis men out of Punk and Hip Hop“ endete. In meinem Bekanntenkreis gibt es ein paar Personen, die das nicht sehr passend fanden und es kam in diesem Zusammenhang zu Äußerungen wie „Man darf Sexismus nicht mit Sexismus bekämpfen“. Möchtest du dich dazu äußern?

Vorweg: Es gibt keinen Sexismus gegen cis Männer. Genauso wenig gibt es Rassismus gegen Weiße. Niemand kann dafür diskriminiert werden, zu den Privilegierten in unserer Gesellschaft zu gehören. Diskriminierung bedeutet nämlich nichts anderes als strukturelle Benachteiligung – und die kann weder ein cis Mann aufgrund seines Geschlechts noch eine weiße Person aufgrund ihrer Hautfarbe erfahren. Wer das vertiefen möchte, dem empfehle ich diese Kolumne von Margarete Stokowski.
Zurück zum Thema: Das Zitat „Kick cis men out of Punk and Hip Hop“ stammt aus einer Solidaritätsbekundung mit den Opfern sexueller Gewalt, die gerade im Rahmen der #deutschrapmetoo-Kampagne ihr Schweigen brechen. Es ist eine Kampfansage, die die bestehenden subkulturellen Machtverhältnisse in Frage stellt und die Wut auf das patriarchale System zum Ausdruck bringt.
Ich habe das Statement nicht verfasst und vermeide in der Regel Provokationen wie diese, weil mir die Diskussionen im Anschluss schlichtweg zu anstrengend sind. Dennoch finde ich es ausgesprochen wichtig, dass es FLINTA* gibt, die radikaler und provokanter an die Sache herangehen als ich. Letztendlich sorgen sie dafür, dass die Debatte immer wieder neu befeuert wird, während ich es als meine Aufgabe betrachte, nach jedem neuen „Aufreger“ in den öffentlichen Dialog zu gehen und möglichst viele Menschen abzuholen. Diesmal fand ich es besonders spannend zu beobachten, wie berechenbar die üblichen Verdächtigen sind. Einige sind wie ferngesteuert auf die Steilvorlage angesprungen und haben sich dabei dermaßen im Ton vergriffen, dass sich seither verschiedene männliche Szeneakteure in der Pflicht gesehen haben, uns erstmals öffentlich beizustehen. Einige haben sogar das persönliche Gespräch gesucht, um uns ihren uneingeschränkten Support zuzusichern. Das tat unfassbar gut und hat uns viel bedeutet. Insgeheim finde ich es ja beinahe lustig, dass sich ausgerechnet diejenigen so leicht auf die Palme bringen lassen, die uns sonst mansplainen, dass Punk von Provokationen lebt.

AFL: Also verschließt sich #punktoo nicht gegenüber Männern?

Diese Steilvorlage möchte ich wiederum nutzen und mit einem (leicht angepassten) Zitat von Friedrich Merz antworten: „Wenn ich wirklich ein ‚Männerproblem‘ hätte, wie manche sagen, dann hätten mir mein Bruder und mein bester Freund längst die gelbe Karte gezeigt und mein Mann hätte mich nicht geheiratet.“ Hahaha! Danke, den wollte ich immer schon mal bringen… Manche Aussagen muss man eben bloß umdrehen, um zu demonstrieren, wie bescheuert sie sind.
Nein, im Ernst: Wenn es so wäre, bräuchten wir #punktoo doch gar nicht. Dann könnten wir entspannt unser eigenes Süppchen kochen, ohne nach Feierabend Aufklärungsarbeit zu leisten und uns ständig beleidigen zu lassen. Ich will keine männerfreie Szene. Ich will mich bloß mit weniger Arschlöchern umgeben und mir gemeinsam mit meinen Verbündeten das Privileg erkämpfen, nicht länger wütend sein zu müssen. Wer uns wirklich dabei unterstützen will, ist jeder Zeit willkommen.

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– Playlist: Happy Release Day

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