Als Shane Embury im Jahr 1987 als Bassist zu Napalm Death stieß, hatten diese gerade ihren ersten Longplayer Scum herausgebraucht und waren dabei, sich den Ruf als schnellste Band der Welt im Grenzbereich zwischen Punk und Metal zu erspielen. Shane selber war seit der ersten Peel Session und dem zweiten Album From Enslavement To Obliteration dabei. Eine weitreichende Entscheidung, denn heute 36 Jahre, 14 Studioalben, 5 Livealben und 10 EPs später ist er als dienstältestes Mitglied der Grindcorepioniere immer noch an Board. Wenn er jetzt eine Autobiografie geschrieben hat, ist es zwangsläufig ebenso eine Art inoffizieller Bandgeschichte, auch wenn der umtriebige Musiker von zahlreichen anderen Bandprojekten quer durch die Genres berichtet. Dass er das Angebot vom damaligen Sänger Nik Bullen abgelehnt hat, bereits auf dem Debutalbum Scum mitzuspielen, ärgert ihn heute noch.
Napalm Death war immer eine Band, die sich politisch verstanden hat, und bereits auf dem zweiten Album Themen gesetzt hat, die in vielen anderen Bandes dieser Szene nicht vorgekommen sind, wie z.B. das Machotum im eigenen Umfeld. Die politischen Elemente der Band kamen u.a. aus dem Start als Anarcho-Punk-Band, wo man sich an Bands wie Crass, Discharge oder Concrete Sox orientierte. Akzentuiert wurde der politische Hintergrund aber nicht von allen Bandmitgliedern in gleicher Weise. So gehörte Shane Embury immer zu denen, die sich dem Projekt Napalm Death immer mehr über den musikalischen Zugang näherten. Lustig, in diesem Sinne, die Anekdote, wo Shane bei irgendeiner Gelegenheit auf Jello Biafra von den Dead Kennedys trifft und befürchtet, von diesem in eine politische Debatte verwickelt zu werden. Musikalisch kommt Shane dann auch eher vom Metal und sieht seine grundlegenden Einflüsse bei Bands wie Saxon, Dio, Rainbow und später dann ganz besonders auch bei Venom. In diesem Sinne sieht er sich auch als ein Treiber der Band, der immer wieder auf musikalische Weiterentwicklung gewirkt hat, so dass man sich nicht uninspiriert in der Grindcorenische eingerichtet hat und offen für diverse Einflüsse blieb, mit dem Ergebnis, dass beispielsweise auf dem 2020 erschienenen Album Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism sogar trance- oder tribalartige Songs zu finden sind. Bereits das Album Harmony Corruption von 1990 stieß mit dem starken Death-Metal-Einfluss reihenweise die gerade erst erspielte Grindcore-Fangemeinde vor den Kopf.
Schnell machten die Ausverkaufvorwürfe die Runde, so bereits beim zweiten Album, weil dieses auch auf CD erschienen war. Wie sehr diese Vorwürfe oder auch negative Reviews an der Band und speziell auch an Shane nagten, zeigt, wie häufig das Thema in dem Buch angesprochen wird und wie vehement, teilweise trotzig, sich Shane dem entgegenstellt. Das Insistieren darauf, dass ihm die Meinung der anderen herzlich egal sei, wirkt angesichts dessen etwas vorgeschoben.
Lesenswert allemal ist die Beschreibung ist Shanes Aktivität Anfang der 80er Jahre in der Tape-Trading-Szene, die er zu Recht als Vorläufer der Social-Networks beschreibt und die es dem Jungen aus dem englischen Kaff Broseley von seinem Kinderzimmer aus ermöglichte, langjährige Kontakte mit Fans und Künstlern der Metal-, Punk- und Hardcoreszene auf der ganzen Welt aufzubauen, was u.a. auch dazu führte, dass Napalm Death schnell eine englisch/amerikanische Band wurde.
Zahlreiche Anekdoten und Stimmen von Wegbegleitern versammeln sich in diesem vorläufigen Rückblick eines Menschen, für den extreme Musik bis heute ein Lebenselixier geblieben ist. Aktuell und in den kommenden Monaten steht Shane Embury wieder mit Napalm Death auf zahlreichen europäischen Bühnen – eine neue EP im Gepäck, die im Februar 2024 erscheinen wird.
Text by Michael Rösener