Am Samstag hatte ich die Möglichkeit Egotronic in Düsseldorf zu interviewen. Das ist zum einen spannend, da das neue Album „Keine Argumente“ jetzt schon eines der beliebtesten der Bandgeschichte ist, zum anderen hat Sänger Torsun aber auch immer wahnsinnig viel zu erzählen und es gibt eine Menge Themen, die man so am besten wohl nur mit ihm besprechen kann. Aber auch Keyborder Kilian und Drummer Roischi hatten was zu sagen. Es ging um Musik, den Streit mit Archi von der Terrorgruppe, Antisemitismus und Antiamerikanismus, sowie darum, was Torsun davon hält, wenn ihn viele als Identifikationsfigur sehen.

Torsun, Kilian und Roischi von Egotronic im Interview

Ich habe manchmal das Gefühl, dass die antideutsche Bewegung streckenweise auch ins rassistische gekippt ist [..]

Ca. ein halbes Jahr ist seit dem Release von eurem neuen Album „Keine Argumente“ vergangenen. Wie war diese Zeit?
Torsun: Ich glaube, ganz gut. Die Festivals waren schön, jetzt kommt die Tour, bei der es aber unterschiedlich ist. Jetzt dieses Wochenende ist es super, in manchen Städten kam es aber noch nicht so richtig an, also da kamen noch nicht so viele Leute. Die Konzerte sind aber im Moment echt krass und die Stimmung ist super. Wir spielen ja auch immer die ganze Platte und die kommt richtig gut an.

Viel ist ja auch ausverkauft und nächstes Jahr kommen auch nochmal eine ganze Menge Konzerte. Es scheint wirklich gut zu laufen.
T: Ja, sie kommt schon sehr gut an.

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Ihr wart auch bei Rock am Ring und Rock im Park dieses Jahr. Wie ist es, wenn man zum ersten mal dort auf der Bühne steht?
T: Ja total, das war der Hammer.
Kilian: Bei Rock am Ring liefen mir schon ein paar Tränen über die Wangen.

Habt ihr einen Lieblingssong von der aktuellen Platte?
T: Ne das wechselt.
K: Das sind auf jeden Fall mehrere.

Für mich bedeutet Punk auch was ganz anderes, und zwar, dass nach oben getreten wird […]

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Mal zu was ganz anderem: Du hattest vor kurzem ein bisschen „Beef“ mit Archi von der Terrorgruppe. Auch Noisey hatte da dann drüber berichtet. Was war da genau los?
T: Also es ging um diese Vans Warped Tour, wo der Sänger von den Dickies, der von einem Mädchen aus dem Publikum per Transparent beleidigt worden war, total ausgerastet ist und dann quasi die Meute gegen sie aufgehetzt hat. Archi meinte dann, das wäre total Punk und darunter haben ihm dann alle Recht gegeben. Ich meinte dann, ich störe diese Männergruppe ungern, aber das ist echt total affig und mackerig.

Credits: Bastian Bochinski

Für mich bedeutet Punk auch was ganz anderes, und zwar, dass nach oben getreten wird und nicht, dass jemand einen ganzen Mob auf ein Mädchen hetzt. Dementsprechend gab es da dann einen kurzen Streit, auf den Noisey dann direkt draufgesprungen ist. Die wollten dann so ein Hin und Her machen, da bin ich aber nicht drauf eingegangen. Ich hab dann irgendwann gesagt, ich hab das an die Grether-Schwestern abgegeben, die dann auch einen großen Text dazu gemacht haben. Ich hatte dann auch keinen Bock, dass zwei alte Herren über Sexismus diskutieren, worauf es dann ja hinausgelaufen wäre. Dann wollte ich lieber, dass ein paar Frauen, die auch aus der Musikbranche kommen und schon so lange dabei sind wie Archi, sich dazu äußern. Die haben dann auch in einem Text alles was gesagt werden muss, gesagt und haben den dann abgegeben. In dem Moment würde ich vielleicht auch ganz gerne Werbung für ihre Band machen: Doctorella, die sind wirklich gut.

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Du bist aber generell auch nicht scheu, dich mit Leuten anzulegen und mit ihnen zu diskutieren. Wofür ihr als Band aber seit Gründung die meisten Anfeindungen bekommt, ist eure antideutsche Einstellung. Ich habe aber den Eindruck, dass diese Szene und ihre Werte in den letzten Jahren immer mehr in den linken „Mainstream“ gerutscht ist. Sind die Anfeindungen weniger geworden?
T: Da hat sich auf jeden Fall viel verändert. Man muss aber auch immer sagen, dass Egotronic bzw. meine Person, an der das festgemacht wurde, immer zwischen allen Stühlen gesessen hat. Viele von den Antideutschen sagen, ich sei ein klassischer Bewegungslinker und viele klassische Bewegungslinke sagen halt, ich wäre ein Antideutscher. Es gibt auch in der antideutschen Bewegung viele Positionen, die ich im Endeffekt nicht teile. Ich habe auch manchmal das Gefühl, dass es da streckenweise echt auch ins Rassistische gekippt ist, womit ich nichts zu tun haben will. Das heißt, so einfach ist das alles nicht. Aber es ist auch so, dass sich am Anfang total viel am Thema Israel festgehalten hat und da war es tatsächlich so, dass Anfang der 0er antideutsche Gruppen interveniert und so praktisch diese klassische Palestinasolidarität geknackt haben. Man musste da halt mal nen anderen Blick drauf haben. Das hatte natürlich in weite Teile der Linken seinen Einfluss gehalten, mittlerweile ist das aber in den größten Teilen viel reflektierter. Diese ganz plumpe Vorstellung, Israel als Brückenkopf des Imperialismus zu sehen, ist nur noch bei ganz engstirnigen Oschis der Fall, die den Schuss nicht gehört haben.

Es ist aber glaube ich auch so, dass viele, wenn sie das erste mal mit dem Thema Antideutsche konfrontiert werden, etwas verwundert sind und nicht genau wissen, worum es überhaupt geht.
T: Da hängt natürlich noch viel mehr dran. Es geht um Marx-Rezeption und dass die Antideutschen aus den wertkritischen Leuten hervorgegangen sind. Bei den Wertkritischen gab es ja die Crisis mit Robert Kurz und andere Leute, die zwar mit den Antideutschen erstmal nichts zu tun haben wollten, aber auch alles Kommunisten waren. All diese Sachen spielen ja bei den Antideutschen mit rein, woran sich diese Diskussion aber am meisten aufgehangen hat, war die Solidarität mit Israel.

Dieser Israel-/Palestinakonflikt wird aber auch wahnsinnig emotional geführt…
T: Immer noch, tatsächlich. Man muss sich das mal vorstellen: Das ist ein Land so groß wie Hessen und während überall auf der Welt so viel Scheiße abgeht, meinen alle Trottel sich hier über Israel streiten zu müssen. Beim Hass auf Israel finden sie dann auch alle ihre Gemeinsamkeit. Es ist wirklich verrückt, dass dieses kleine Land hier so ein wichtiges Thema ist. Es gibt dann ja auch UN-Resolutionen gegen Israel, während andere Staaten ganz viel falsch machen. Es ist aber mittlerweile auch ganz gut, denn nach den Sechs-Tage-Krieg hat sich alles gegen Israel gewandt und seit Anfang der 0er-Jahre hat da ein Großteil der Linken eine andere Sicht drauf.

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Seitdem es Punk gibt, gibt es auch immer Texte gegen die USA. Angefangen bei The Clash oder The Exploited, bishin zu Slime. Viele hängen sich an dieser ganzen Thematik auch so auf, weil der erste Verbündete der USA Israel ist. Wie stehst du zu diesem Thema?
T: Darauf können sich auch alle einigen. „Fuck Bush“ oder jetzt „Fuck Trump“ sagt ja irgendwie jeder. Dabei ist das ja auch totaler Quatsch, weil es wird von hier mit dem Finger in die USA gezeigt, weil Trump rumpoltert und eine Mauer bauen will. Dass es hier in Europa so einen Zaun schon gibt, der die Landrute schließt und dass im Mittelmeer jeden Tag Leute ersaufen, das interessiert dann wieder weniger. Europa macht das alles, die Gesetzgebung ist durch und durch rassistisch. Jetzt wollen sie in Afrika eine Mauer durch die Wüste bauen, um die Leute schon vorher abzufangen. Und dann immer auf die USA zu zeigen, ist total affig. Zumal die Demokratie hier bei weitem nicht so gefestigt ist, wie in den USA. Man sieht es ja: der Trump will irgendeinen Scheiß machen und dann sagen die Gerichte „Fick Dich“! Dass Trump ein Idiot ist, ist eh klar, darum geht es mir aber gar nicht. Punks sollten auch eh gucken, was hier die Probleme sind, denn hier leben wir. Ich lege es Slime aber auch positiv aus, dass da eine Reflektion stattgefunden hat und sie sich von dem Text von „Yankees raus“ distanziert haben.

Und wie sieht es bei amerikanischen Bands aus, die ja auch ganz anders sozialisiert wurden? Da sind auch viele Künstler im Nahostkonflikt klar positioniert. Wie siehst du das dann?
T: Jaja ich weiß, das ist ja auch zum Teil ein Problem in der amerikanischen Linken. Was aber diese Amerikakritik angeht, gibt es keine Kritik, die nicht schon in Amerika selbst schärfer formuliert worden wäre. Und deswegen ist es auch immer so ein billiger Hasch nach Erfolg, wenn man da von außen so draufzeigt. Da waren wir natürlich immer ein bisschen anders. Als das mit Egotronic losging, bekam man für eine proisraelische Position alles andere als Applaus. Uns wurde ja auch deswegen der Wagen angezündet. Im Nachhinein finde ich das sogar mehr Punk, als alles andere, da Punksein ja auch immer provozieren heißt.

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Durch diesen Konflikt, aber auch diverse andere Sachen, ist die linke Szene aber auch total gespalten und bekämpft sich zum Teil fast schon mehr als sie die Rechten bekämpft. Viele fordern deswegen jetzt erstmal, grob inhaltliche Differenzen hinten anzustellen, bis man den gemeinsamen Feind besiegt hat. Siehst du das ähnlich?
T: Das ist einerseits richtig, andererseits ist es aber so, dass ich keinen Bock hab mit Antisemiten zusammenzuarbeiten, wovon es in der Linken auch viele gibt. Aber sonst wäre ich natürlich auch der Meinung, dass man hier gerade ganz andere Sachen bekämpfen muss. Natürlich den Antisemitismus, aber auch den erstarkenden Nationalismus, da einfach Faschos in Parlament eingezogen sind. Da müsste man eigentlich geballt angreifen.

Seit dem G20-Gipfel ist der Hass gegen Linke ja auch wieder salonfähig geworden und viele Leute, die sich eher in der Mitte verorten würden, sehen den Feind eher links als rechts.
T: Absurd ist natürlich, dass jetzt im Nachhinein rauskommt, dass alles was die Bullen erzählt haben, gelogen ist. Aber das interessiert keine Sau mehr. Die Gerichtsurteile sind ja verheerend, wenn Kids so lange verknackt werden. Da sieht man auch, wie weit der Rechtsruck schon vorangeschritten ist. Die Repression gegen Links ist halt echt stark, während immer gesagt wird, dass man mit Rechts doch reden müsste. Da reicht es mir und frage mich, wie man mit solchen Menschen reden will. Da gibt es nichts zu reden und es gilt mit allen Mitteln, diese Leute an dem zu hindern, was sie tun. Von mir aus auch mit Repression, denn Nazis machen halt Nazisachen. Diese Leute muss man einfach verhindern und das sollte sich eine geballte Linke auch so auf die Fahne schreiben. Wir laufen nämlich sehenden Auges in die Katastrophe.

Mal zu einem anderen Thema: Es ist zuweilen wirklich erstaunlich, denn wenn man in einem beliebigen AZ oder linken Jugendzentrum rumläuft und den Namen Egotronic oder Torsun Burkhardt nennt, wissen die meisten Jugendlichen direkt Bescheid. Viele sehen in dir aber auch eine Art Identifikation- und zuweilen auch Heldenfigur. Wie findest du das?
T: Das finde ich aber problematisch, muss ich zugeben und ich finde dieses identitäre Gehabe immer total bescheuert. Im Endeffekt sind wir ja eine Projektionsfläche und die Leute haben dann am Ende keine Ahnung, wie man wirklich ist. Eine zeitlang haben auch viele gedacht, dass wenn sie radikale Reden schwingen und sich mit Drogen zuballern, sind sie so wie ich, was auch total an der Realität vorbei geht.
K: Ich gebe dir zwar vollkommen Recht, man darf dabei aber auch nicht unterschätzen, dass Leute auch politisch geformt werden. Es bleibt ja schon was hängen dabei.
T: Na klar, wenn es dazu führt, dass Leute anfangen, sich mit Sachen auseinander zu setzen, finde ich das auch durchaus gut. Es ist aber auch ein Unterschied, ob man sich dadurch animiert fühlt, etwas zu tun, oder ob eine Art Glorifizierung stattfindet. Wenn ich wüsste, wie alles richtig geht, das wäre ja super, haha, aber das ist ja Blödsinn.
K: Das kann ich unterschreiben, haha.

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Um jetzt zum Abschluss nochmal den Bogen zur Platte zu schlagen: Das Gitarrensolo am Ende von „Deine Melodie“ wurde von Mille von Kreator eingespielt. Wie kam es dazu?
T: Da kamen wir erstmals drauf, als wir letztes Jahr mit der LoFi-Tour in Essen gespielt haben, wo er auch war. Ich habe ihn dann einfach gefragt, ob er Bock hätte, ein Solo einzuspielen. Dann habe ich ihn bei seinem Konzert in Berlin nochmal gefragt, ob das klappt und er meinte, dass er das dann in seinem mobilen Studio im Tourbus aufnehmen könnte, was er dann auch gemacht hat.
Roischi: Er hatte dann auch drei verschiedene Versionen geschickt, von denen wir uns dann eine aussuchen konnten. Das war dann saugeil.

Als letztes eine absolute Standartfrage: Was feiert ihr gerade selbst für Musik?
K: The Baboon Show haben wir ziemlich viel im Bus gehört.
T: Ich habe in letzter Zeit total viel Lil Peep gehört. Das ist ein ganz junger Ami, der Trapbeats mit Indie mischt. Die Texte sind zwar meist ziemlig asig und scheiße, aber die Musik ist grandios – Nur Hits. Wenn es um Punk geht, höre ich gerade britische Sachen, Slaves z.B. Da ich eh auf reduzierte Musik stehe, ist sowas auch irgendwo eine Inspirationsquelle.
R: Ich glaube, ich breche da momentan am meisten aus, ich habe nämlich gerade eine ganz ganz harte Black- und Deathmetal-Phase. Rotting Christ, aber auch Amon Amarth, die zwar textlich richtig scheiße sind, aber musikalisch richtig geil. Dieser Drummer ist wahnsinn. Richtig fettes Dubblebass-Gewitter gibt mir gerade richtig viel. Und die letzte Kreator-Platte war natürlich großartig.

Vielen Dank für das Interview!

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– Playlist: Happy Release Day

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