Wie M.A.D.-Tourbooking zu M.A.D.-Tourbooking wurde – Interview mit Marc Nickel

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„M.A.D.“ Marc Nickel von M.A.D. Tourbooking ist seit über 30 Jahren im Bookinggeschäft aktiv und bringt Bands auch aus der ganzen Welt nach Deutschland und Europa auf Tour. Über die Jahre kam Marc so selbst als Booker gut rum und kann so einige Anekdoten erzählen. Angefangen von der legendären Berliner Punk-Szene Ende der 70er Jahre, der Gründung von M.A.D.-Tourbooking und seine enge Beziehungen zu Bands, mit denen er teilweise seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Hier der erste Teil unserer MAD Marc-Reihe über die Marc ausführlich auf die Gründung und die ersten Jahre von M.A.D. eingeht.

Wir sind so irgendwie ins Tourbooking reingestolpert.

Wie wurde M.A.D.-Tourbooking eigentlich gegründet?

AFL: Marc, du bist mittlerweile seit über drei Jahrzehnten im Tour-Booking-Geschäft. Wie bist du zum Booker geworden und hast du M.A.D. eigentlich gegründet?

Marc: Ja also, wie ich dazu gekommen bin, ist eine längere Geschichte.

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Ich habe irgendwann 1978 angefangen mit dem Punk. Ich bin also recht früh in die ganze Punk-Szene reingekommen und hatte zudem das Glück in Berlin mit den vielen interessanten Leuten der frühen Stunden in Berlin aufgewachsen zu sein, die in den ersten Reihe waren. Ich war also ziemlich schnell und im bereits sehr frühen Alter „dabei“. Bereits mit 14 Jahren war ich zum ersten Mal Türsteher im legendären Berliner Club SO36 und habe dort meine ersten Einblicke bekommen, so wurde ich auch endgültig für mein Leben „infiziert“.

Ich möchte aber auch weiter ausholen, damit man es etwas besser versteht: Die Entwicklungen und Verwicklungen.

Der Aufbau einer DIY-Szene

Es ging uns immer ums Ganze.

So richtig los ging es 1982. Man kannte sich untereinander von Konzerten usw. – da habe ich dann auch einfach den Kontakt zu vielen deutschen Punk-Bands aufgenommen, die durchaus auch als große „Motoren“ in der Szene bekannt waren. Das habe ich gemeinsam mit Ute gemacht. Das war die erste kleine Party, demnach quasi also die Geburtsstunde von M.A.D., wo wir ja auch bis heute gemeinsam arbeiten.

Wir waren immer dabei und haben so die DIY-Szene mit aufgebaut.

Gemeinsam haben wir dann im Kollektiv mehr und mehr angefangen Konzerte selbst zu veranstalten. Zum Beispiel im Rauch Haus, SO36, TU Mensa, Ex-Mehringhof oder Blockshock. Wir waren allesamt eng befreundet und eine wirklich kleine verschworene Gruppen. Wir, also Ute und ich, waren beide sehr in der alten Berliner Szene akzeptiert. Die Shows, die wir damals veranstaltet haben, hatten wir allesamt noch ohne einen Namen oder Logo veranstaltet! Wir wollten ja nie im Mittelpunkt stehen – es ging uns immer ums Ganze.

„Mad“ Marc Nickel (1980)

Wir waren damals in den 80ern ein cleverer und überschaubarer Haufen mit Visionen und Ideen. Das war der Anfang unserer DIY-Szene, die nach und nach anfing sich zu strukturieren. Ja, man kann das schon so sagen: wir waren immer dabei und haben das Ganze mit aufgebaut und DIY stand damals noch für: du kannst alles tun was du willst, mach es einfach.

Wir hatten damals in der Szene immer wieder Diskussion, wie und wo es hingehen soll. Wir hatten das Problem zwischen Anspruch und Wirklichkeit erreicht und wir mussten für eine Zukunft auch neue Wege gehen und finden. Wir waren bereit andere Weg zu gehen, um positive Strukturen und eine echte Basis zu kreieren. Die Utopien, die wir hatten, wollten wir doch umzusetzen.

Rückblickend darf man nie außer Acht lassen, dass von Anfang an sehr große Kräfte die Bewegung auseinander spalteten und zergliederten. Die frühen Bands aus England wie Damned, Generation X oder The Clash suchten kommerziellen Erfolg im Pop-Mainstream oder lösten sich auf. Unvergessen für mich, dass die großen politischen The Clash 1980 unter Polizeischutz in Berlin spielten, den sie selbst angefordert hatten. Gegen ihr eigenes Publikum wegen der neuen Platte London Calling. Wir mussten durch eine Polizeibeobachtung zur Show in die Neue Welt, für damalige Verhältnisse unvorstellbar. Jetzt hole ich aber auch zu weit aus…

Wir hatten eine also irgendwie funktionierende Szene. Aber um den Widerspruch zu verstehen, muss man sich nur die Bandbreite anschauen, wo diese Shows waren: Einerseits in besetzten Freiräumen, andererseits die staatlich verwalteten Jugendzentren und natürlich die privatgeführten Clubs. Ein parallel wie gegensätzliches Netzwerk, das wir in Europa über die Jahre aufbauen konnten. Wir hatten also quasi schon die perfekte Basis Tourneen zu veranstalten, auch trotz der Sprachbarrieren, die damals massiv waren. Denn nicht alle haben früher Englisch gesprochen (lacht). Aber mit Hand und Fuß und per Telefon haben wir das irgendwie hin bekommen.

Wir sind so irgendwie ins Tourbooking reingestolpert. Die Leute haben gefragt, weshalb wir keine ganzen Tourneen buchen, ich denke die vertrauten uns oder teilten unser archaistischen Gedanken und Strukturen, die wir in Berlin errichtet hatten. Wir waren alle befreundet, hatten viel Spaß und hatten bis dato nur vermittelt oder Kontakte hergestellt für Bands oder überall mitgetanzt.

Leute kamen, Leute gingen – M.A.D. blieb

Es ist rückblickend Immer wieder faszinierend, dass alles so geklappt hat. Die so offensichtlich verschiedenen Leute, sich über den kleinsten gemeinsamen Nenner so formieren und zusammen arbeiten konnten, ohne sich immer wieder durch Kleinigkeiten zu behindern oder nur auf persönlichem Vorteile bedacht zu sein. Aber das Problem Anfang wie Ende der 80er war, dass recht viele Bands, Zines, Bars oder eben Konzertveranstalterinnen immer wieder verschwanden. Die angebliche Unabdingbarkeit und die vermeintlichen Alterativlosigkeit dominierte das Gefühl, wodurch sich als Reflex zunehmend Stagnation und Ohnmacht bildete. Natürlich sind einige immer wieder kurzzeitig aufgetaucht, wenn die Zeiten besser wurden und wieder Geld zu verdienen war oder Aufmerksamkeit zu erhaschen oder als Band ihre Rockkariere scheiterten. Für uns stellte sich diese Frage gar nicht.

Marc im M.A.D.-Büro Mitte (2002)

Wir wollten doch eine Gegenkultur aufbauen, die auch funktionierte und nicht immer wieder an den eigenen Ansprüchen scheiterte. Ich denke, unser starkes Berliner politisches Umfeld gab uns immer wieder Rückhalt durchzuhalten und frei zu bleiben. Es war auch Zeitpunkt, wo Musik der Mittelpunkt der Bewegung wurde und nicht mehr das Individuum, die Philosophie oder die Bewegung an sich zählte. Uns war klar, es musste Änderungen an den festgefahren – ja selbstzerstörenden Strukturen geben.

Der Modekampf wurde auch auf die Musikbewegung instrumentalisiert. Es gab zu dieser Zeit eigentlich nur zwei Blöcke, die zusammen hier nach Europa gekommen sind: Alle Bands um Dischord Records aus dem Washington D.C.-Umfeld und dann noch das San Francisco-Umfeld – das war es eigentlich. Es wurde dann irgendwie etwas monoton – und so auch berechenbar, auch wenn die Leute dennoch durchaus auch andere Musik gehört haben.

Niemand musste dich auffordern zu tanzen oder zu stagediven – es war im Blut.

Sie kamen alle auf Tour, versteht mich nicht falsch: es waren gute Bands und auch gute Menschen, wir besuchten sie und sie uns, so entwickelten sich immer mehr Synergieeffekte und Freundschaften. Weltweit war es wieder aufregend geworden, aber zeitgleich auch oft nur nett, weil viele hatte mit uns unseren Leben oder Vorstellung nix wirklich zu tun.

Wir haben hier in Berlin Shows veranstalte. Wie bereits erwähnt sowohl mit den kleinen als auch den größeren Bands. Das hat alles funktioniert, weil das Netzwerk und die Szene funktioniert haben. Wir haben Werbung gemacht, die Leute wussten, da kommt jemand, den man zwar vielleicht auch mal nicht kannte, aber sich trotzdem einmal anschaut. Man darf auch nicht vergessen, dass Konzerte damals auch mehr Kommunikationspunkte, als reine Unterhaltungsshow so wie heute, waren. Niemand musste dich auffordern zu tanzen oder zu stagediven – es war im Blut.

Aus Ute und Marc wurde M.A.D.

Der Widerspruch zwischen dem was wir hörten und sahen war eine Schieflage – für einige zu monoton. Denn zeitgleich kochten auch in Los Angeles, Boston oder New York mit anderen Bands wie Nihilistics, Bad Brains, Agnostic Front, CH3 , TSOL oder D.I eine neue Welle, die auch alle hörten. Es kam dort zu einer neuen Hochphase des Punks, überall platzen Bands heraus.

Die Bands waren allesamt wie wir selbst: direkt von der Straße. Sie hatten die gleichen Einstellungen und Abneigungen, wie wir hatten, man hatte sich ja kennengelernt wenn wir drüben (in den USA) waren. Aber irgendwie wollte keiner Tourneen für diese Bands buchen und wenn dann kamen sie über bekannte Rockstrukturen in den dazu gehörigen Rockhallen, weit weg von dort, wo wir lebten. Da es hieß „oh nein, die sind sonderbar und gewalttätig“, eben komisch oder die trinken nicht, sind ja Straight Edge. Das kannten wir alles zur Genüge von hier – diese spaltenden Vorurteile. Manche hatten eben einfach kein Geld drüber nachzudenken, die Lower East Side zu verlassen.

Ute und ich haben Mitte der Achtziger den Entschluss gefasst auch Tourneen für diese Bands zu buchen. Da auch ein Freund von uns (TOTOT ), der ab und an bei uns zwischenstoppte, Touren für einige in Amerika buchte, ergab sich schnell eins zum anderen.

Pass auf, wir gehen da voll mit rein! Wir machen die Touren, die keiner macht. Mit Bands wie D.I. und Agent Orange aus California!

Um es jetzt mal kurz zu machen: die erste „richtige“ Tour, die wir gebucht haben, mit dem jetzt bekannten Namen M.A.D. mit Plakaten, Flyern, Anzeigen usw., ging auch gleich zwei Monate lang ohne ein Day-Off in ganz Europa, 2 Monate – ick kenne heute keine Bands, die so was noch machen wollen. Das war D.I. aus Kalifornien.

Natürlich kann man sagen, es war dasselbe wie zuvor, da wir beide seit Jahren Konzerte machten. Wir waren nur Ute und Marc, die DIY-Punks, die politisch aktiv sind und bei denen du in Berlin pennen kannst, wenn du einen Schlafplatz brauchst. Ganz so war es aber nicht – der Schritt, sich einen Namen zuzulegen, hatte natürlich viele Gründe, aber auch den konsequenten Schritt, Anspruch und Wirklichkeit der politischen und DIY-Ethik umzusetzen – in Strukturen, die sich verfestigen und mit Kontinuität etwas entwickelt, was im Gegenzug zu früher die Möglichkeiten schaffen sollte, sich zu entwickeln.

Wir dachten – wie soll ich es formulieren – ich sage mal, sollte wie eine Basisversorgung für alle sein, also dass alle überall Bands, Veranstalter, Zuschauer funktionieren können und Strukturen überleben können, sich sogar mit Kontinuität entwickeln können, auch sich frei weiterentwickeln und wachsen wie verfestigen.

1989 hatten wir dann doch offiziell das erste Plakat mit M.A.D. Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Konzerte immer größer wurden und immer erfolgreicher, besonders hier in Berlin. Die Infrastruktur kippte 1989 gerade um. Wir haben dann gesagt „pass auf, wir gehen da voll mit rein! Wir machen die Touren, die keiner macht. Mit Bands wie D.I. und Agent Orange aus California.“. Gleichzeitig waren wir ja zuvor immer schon in New York und hatten die Kreativität und musikalische Vielfalt verstanden und gelebt. Witzigerweise war die erste Band, die wir auf unserer New York Reise für M.A.D. gefunden hatten Murphys Law, dann Slapshot, die ja eigentlich aus Boston kommen. Ich glaube, Murphys Law, Slapshot und D.I. waren die ersten drei M.A.D.-Bands.

Snoopy, Mike, Ute und Marc von M.A.D.-Tourbooking (v.l.n.r.)

Wir wollten auf jeden Fall den DIY-Gedanken und die Punk Ethik bzw. den Hardcore-Sound beibehalten und dahingehend keine Experimente eingehen. Für uns galt es also ein gesundes Mittelmaß zwischen politischen Anspruch und Philosophie und „professionell“ also Lebensunterhalt verdienen zu entwickelt für alle Akteure damit ein Kontinuität und Entwicklung überhaupt möglich ist irgendwie. Wir wussten genau, sonst würden wir weiter gegen die Wand fahren und diese ganze Szene auflösen, wenn wir es nicht schaffen würden, dieses Mittelmaß zu finden.

Uns war also klar, dass wir auch im Hardcore-Punk klare Strukturen schaffen und auf einem professionellen Niveau arbeiten müssen, damit die ganze Kommunikationsebenen weiterleben, also funktioniert und wir weiter Bands auf Tour bringen können, die Hardcore-Punk-Musik spielen und nicht sich auflösen, um irgendeine andere kommerziell erfolgreichere Musik zu spielen, um damit auch etwas Geld zu verdienen.

Wir hatten allgemein schon immer das Hindernis, dass wir erst einmal die gleichen Kosten haben wie ganz große Stars: Wir müssen den Tankstellen die gleichen Spritpreise zahlen wie AC/DC und wir müssen genau so einen Flug buchen und Bus mieten, auch wenn der von Kiss klar noch einmal in eine andere Preisklasse hat. Man kann ja nicht bei einer Fluggesellschaft anrufen und sagen „Hi wir sind eine Hardcore-Band und würden gern den Punk-Flugpreis bekommen“. Wir müssen auch die Miete für den Backline-Verleih zahlen – wir haben die gleichen Preise wie andere Musik Genre es auch haben. DIY bedeute ja auch, um das mal klarzustellen, du kannst alles machen was du willst, du bist jemand, mach es einfach selbst. Es bedeutet nicht das Discounter-Billig–Prinzip, was einige gerne für ihr eigenes Interesse verkaufen. Natürlich kann ein staatlich Jugendzentrum kostengünstiger produzieren als ein privater oder kollektivgeführter Club – das ist doch jedem klar. Und natürlich kann ein Hobby-Band, die mal hier und mal da spielt, funktionieren. Aber doch nicht für Bands, die wegen der ewigen Konzertnachfrage von Chicago, Rio bis Rom ein Tourneeleben führt. Die Leute müsse doch auch Miete zahlen, Rechnungen begleichen und naja von irgendetwas leben.

Es war uns immer wichtig unsere anarchistischen Ansichten und unserer DIY-Gedanke, die wir haben, zu vertreten und dabei weiter „zu überleben“. Wir haben so über die Jahre funktionierende Strukturen geschaffen und unsere Werte dabei behalten. Heute müssen Bands nicht mehr auf dem Fußboden schlafen, ohne Decke ohne Fenster im Winter! Man begrüßte sie plötzlich als Gäste überall. Ich weiß noch selbst, wie es früher war. Das ist die Basis für einen respektvollen Umgang miteinander, die wir schaffen wollten. Ich habe ja selbst oft genug miterlebt, wie Leute die Situation ausnutzten und belogen wurden. Nur mal als Beispiel, ob jemand eventuell Allergien hatte oder wie ich Veganer bin: Da wurden eben einfach die Billignudeln mit Ei gekauft, merkt er ja nicht beim Essen der Veganer! Tja, nur war ich nicht der Richtige, dem es mit einem Lächeln erzählt wurde. Das ist zwar jetzt 30 Jahre her, die Geschichte aus den AJZ, aber es sollte ja nur stellvertretend für die Zustände sein. Es gibt ja genug Lieder darüber und Geschichten. Ja, es ging wirklich drum wieder Vertrauen zu schaffen in den gesamten Strukturen und nicht nur, um billiges Bier und billige Unterhaltung – das war nie mein Anspruch.

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– Playlist: Happy Release Day
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Toeone
YO WHAT'S UP! Mein Name ist Franz, aka Toeone aka Toe aka Der Ami, aka Hey Alter! Ich wurde in Brooklyn (USA) geberen und höre Hardcore & Punk-Rock seit den 70ern. Ich bin Familienvater, Musiker und Sportler. In meiner Freizeit stehe ich auf Reisen, botanische Gärten, Tierparks, Kunst, Technik und historische Museen. Bei AWAY FROM LIFE bIn ich Allrounder; der Mann für Rat und Tat. Ich helfe beim übersetzten vons englische ins deutsche & umgekrht, führe nterviews, schreibe Reviews, filme Videos und helfe beim Bandscouting PMA!

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