Oakhands - The Shadow Of Your Guard Receding (2020)
Oakhands - The Shadow Of Your Guard Receding (2020)

Ohne lange Umschweife: Was von der Aufmachung her avantgardistisch, zu bemüht und kopflastig erscheinen mag, entpuppt sich schon nach den ersten Songs als unverkrampftes Wunderkind.

Denn das, was Oakhands hier mit ihrem Debütalbum The Shadow Of Your Guard Receding (This Charming Man Records) hinlegen, ist mehr als ein ambitionierter Versuch. Es ist ein gelungener erster Streich (vergisst man mal ihre bereits zuvor erschienene überzeugende EP), ein beeindruckendes Erstlingswerk, bei dem jeder Song aus der Reihe tanzt, jeder Ton wohl überlegt und dennoch natürlich klingt.

Man stelle sich Envy, Title Fight und Coldplay vor und noch eine ganze Menge anderer Bands zwischen Indie-Pop, Emo, Screamo und Post-Hardcore, die auf den ersten Blick kaum einen gemeinsamen Nenner zu haben scheinen, außer, dass sie in ihrem Metier großartig sind. Oakhands packen all diese Sounds in insgesamt elf Tracks und schaffen es, dass kein Song klingt wie der andere, noch nicht einmal wie von der gleichen Band. Das könnte man als Schwäche bezeichnen, als Fehlen eines eigenen Stils, aber genau das scheint der Stil zu sein, den die Münchener für sich gefunden haben.

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Oakhands (2020)

Ich beschreibe ja gern jeden Song einzeln, hier muss ich es sogar, um einigermaßen der Vielseitigkeit auf The Shadow Of Your Guard Receding gerecht zu werden:

Track 1, Reverie, eröffnet das Album mit verträumten Gitarren und einem Gesang, der gebrochen und verletzlich klingt – emotionaler Indierock vom feinsten, der uns auf die kommenden Songs voller Überraschungsmomente vorbereitet. Denn: Plötzlich ein Tempowechsel, eine Stimme die wütend schreit, ein Refrain mit doppelter Gesangsspur, dann wieder ein Wechsel hin zu funkigeren Tönen, wieder ein Break und schließlich ein fulminantes getragenes Ende.

Mit vielen Schlenkern und unerwarteten Wendungen, zwischen Punk, Emo und mit ganz viel Dramatik geht es in Song 2, several; (others may thrive), weiter. Vertrackte Rhythmen und verträumt vor sich hinplätschernde Gitarren, etliche Rhythmus- und Tempowechsel, sich dramatisch aufschraubende, verzerrte Gitarren und nicht zuletzt eine Stimme, die zwischen Spoken Words, Gesang und Geschrei wandelt, machen den Song zum ersten der vielen Lieblingssongs auf diesem Album.

Rejoice! Rejoice! überrascht die Erwartungen erneut. Der Rhythmus erinnert an At-The-Drive-In, ist funky und vertrackt. Und auch die Stimme, die als Percussion-Instrument genutzt wird, erinnert an die frühen 00er Jahre. Hier lassen sich so viele Effekte und kleine Sound-Details entdecken, die dem Song Dynamik verleihen. Unglaublich, was die Stimme von Sänger Nik an unterschiedlichen Klangfarben und Styles drauf hat.

La Jetée (frz. für Damm, Seebrücke), kommt wieder sanfter daher. Vorerst. Nach dem zarten Gesang geht die Stimme über zum Schreien, begleitet von einem stakkatoartigen Gitarrenspiel. Oakhands treiben das Spiel bis zur Ekstase mit Geschrei, „Hintergrundgespräch“ und Synthesizern, die wie Streicher klingen. Hier lassen La Dispute ganz freundlich grüßen.

„La Jetée ist womöglich unser liebster Song des neuen Albums. Er beschreibt perfekt, was wir unter Sturm und Drang verstehen: Eine Kraft die uns nach vorn treibt, ohne dabei die Möglichkeit zur Selbst-Reflexion zu verlieren.“

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In SAMSA (or, the Lack of Constant Lack) rocken Oakhands im Brit Punk Stil. Mit twenty-two zeigt das Münchener Quintett in fünfeinhalb Minuten, dass auch ein reines Instrumentalstück nicht langweilig sein muss, wenn man es richtig anstellt. Das atmosphärische Klangbild erinnert an die Meister dieser Emo-Instrumental-Stücke, an Envy. Alles fügt sich zu einem großen Ganzen zusammen, alles ist im Fluss.

Auch TOCKA (russisch für „Punkt“) bleibt rein instrumental. Ich hätte das Stück vielleicht an anderer Stelle eingeordnet, aber Oakhands werden sich schon etwas dabei gedacht haben, da bin ich mir sicher. Es ist zumindest der perfekte Tabula Rasa Sound, der die Erwartungen wieder auf Normalnull setzt und aufnahmefähig für das kommende Stück macht.

P A L M I N G könnte aus der Feder von Coldplay stammen. Kein Quatsch! Nicht nur, dass es eine Kunst ist, wie Chris Martin zu klingen und diese Atmosphäre hinzubekommen, es gehört erst recht Kunstfertigkeit dazu, es eben nicht genauso klingen zu lassen. Ein zartes Geschrei im Hintergrund verleiht dem Stück eine eigene Note. Es ist gerade so laut abgemischt, dass es durch die Bläser hindurch dringen kann.

Parnassus ist wieder treibender, aber nicht weniger episch. Das zugehörige Video unterstützt das hervorragend visuell:

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漏れ日 kommt als sanftes Lullaby-ähnliches Fragment daher, flackernd wie Sonnenlicht, das auf Blätter fällt. In etwa das bedeutet der Titel übersetzt. Die Platte schließt mit There Will Come Soft Rains, einem Track, der zeigt, dass Oakhands noch mehr musikalische Vorbilder beherrschen, ohne dabei abgekupfert zu klingen: Der Song erinnert mit seiner Wut und ätherischer Melancholie an Bands wie More Than Life, Title Fight und Touché Amoré und beendet das Album mit einem weiteren Hit.

Wenn man diese Band und dieses Album mit einem Wort beschreiben müsste, dann mit „unberechenbar“. So viele verschiedene Genres finden hier zusammen, und jedes beherrschen Oakhands mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit und Selbstsicherheit. 

Die Stimme von Sänger Lukas ist so vielseitig wie die Melodien und Arrangements der Songs. Nicht zuletzt die verschiedenen Sprachen der Songtitel und Lyrics zeigen, dass Oakhands mit The Shadow Of Your Guard Receding einen Schmelztiegel an Sounds und Stimmungen schaffen wollten, der sich nur schwerlich in eine Schublade packen lässt. Von Punk über Screamo bis Indiepop ist hier alles dabei.

Oakhands überzeugen mit einem Songwriting der wohlüberlegten Sorte, mit Songs, die eingebettet in viele, zunächst gegensätzlich klingende Sounds, ein großes Ganzes, eine Geschichte ergeben. Wäre dieses Album ein Mensch, würde man ihm nachsagen: „ ganz schön verkopft.“ Aber auch: „Schön, dass es solche Menschen gibt“, die nicht oberflächlich bleiben, sondern wirklich etwas zu sagen haben und – ganz im Sinne der Instrumentalstücke – auch einfach mal die Fresse halten können, wenn es nichts zu sagen gibt. Auch wenn ich mir tatsächlich weniger Instrumentalstücke und Sanftheit und stattdessen etwas mehr Geschrei und treibende Distortion gewünscht hätte, denn gerade das steht Oakhands besonders gut.

Eine Serie bestehend aus sechs Videos (zwei davon haben wir hier eingefügt, die anderen findet ihr auf YouTube) visualisiert das Konzeptalbum und zeigt, dass es bei Oakhands um weit mehr als nur um Musik geht: Kunst auf allen Ebenen, mit allen Facetten.

Tracklist

  1. Reverie
  2. several; (others may thrive)
  3. Rejoice! Rejoice!
  4. La Jetée
  5. SAMSA (or, the Lack of Constant Lack)
  6. twenty-two
  7. TOCKA
  8. P A L M I N G
  9. Parnassus
  10. 木漏れ日
  11. There Will Come Soft Rains
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– Playlist: Happy Release Day

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