Shoreline – GROWTH Album Cover
Shoreline - Growth (2022)

Punk’s not dead. It just grew up to a new generation.

Mit ihrem zweiten Longplayer Growth (04. Februar 2022 / End Hits Records) sprechen Shoreline die Ängste und Zerwürfnisse einer neuen Generation an, die da herangewachsen ist. Eine Generation, die mit so vielen Problemen zu kämpfen hat, davor aber nicht die Augen verschließt, sondern sie mutig anspricht.

Das persönliche ist politisch ist persönlich

Klimakrise, Konsum und Kapitalismus Overkill, Tierleid und anti-asiatischer Rassismus, der Sänger Hansol Seung persönlich trifft – „Shoreline repräsentieren die Lebenswelt einer gesellschaftlichen Gruppe, die sich in ihrer Zukunft und ihrer Gegenwart so viel zu sorgen hat, dass sie gar nicht anders kann, als aktiv dagegen zu kämpfen.“ Die Wut, das Entsetzen und der Kampfgeist werden auf Growth nicht nur in den Lyrics verarbeitet, sondern auch musikalisch. Und so klingt Growth deutlich härter als die Vorgängerwerke. Aber nicht einfach auf die plumpe Tour. Je bewusster ich hinhöre und die Songs auseinandernehme, umso erstaunter bin ich darüber, wie es Shoreline gelingt, derart bissig zu klingen, ohne übermäßig in die Punk-Klischee-Kiste zu greifen. Soll heißen: Shoreline brauchen nicht durchgängig schreiende Gitarren und Stimmen, um uns ihre Haltung „in your face“ und um die Ohren zu hauen. Growth steht deshalb auch eindeutig für das enorme Wachstum, das Shoreline gerade in den vergangenen zwei Jahren hingelegt haben.

Shoreline live
Shoreline live

Denn: Nicht nur die Inhalte der Songs sind ernster und erwachsener, auch in Sachen Songwriting und Instrumentierung sind Shoreline gewachsen. Und in Sachen Talent für großartige Melodien. Dabei lag die Messlatte diesbezüglich von Anbeginn sehr hoch. Schon bei ihrer EP You Used To Be A Safe Place war ich gefesselt von dieser Gabe catchy Melodien zu schreiben, die es mit einem gewissen Quäntchen an Dissonanz schaffen, der Schlager- und Pop-Falle zu entkommen. Wie man so etwas noch toppen kann, ist mir ein Rätsel, aber Shoreline haben es hinbekommen.

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Growth strotzt gerade so vor mitreißenden Melodien, die durch Tempowechsel hier, eine Bridge da, einen Break dort und einen unvermuteten Twist in Hansols Stimme jenseits der gewohnten Stimmfarbe ihren ganz speziellen Charakter erhalten und so zur Perfektion mit Ecken und Kanten hochgeschraubt werden. Viele der Melodien werde ich wohl nie wieder aus dem Kopf bekommen. Und noch ein Talent hat Vocalist Hansol: Die Fähigkeit seine Stimme gezielt einzusetzen. Ich bilde mir tatsächlich ein, an der ein oder anderen Stelle Sarkasmus herauszuhören.

Falls es noch nicht deutlich geworden ist: Growth ist in meinen Augen ein Meisterwerk. Es gibt keinen Song, den man nicht mitsingen möchte, keinen der mich nicht überzeugt. Wie viel Lobhudelei verträgt ein Review eigentlich?

Ein Beispiel für das grandiose Songwriting ist die Single-Auskopplung Meat Free Youth. Abgesehen von der eingängigen Melodie (das ist die mit dem Sarkasmus) gelingt es Shoreline das Thema Veganismus auch sprachlich „mundgerecht“ zu vermitteln. Shoreline, allesamt bekennende Veganer und Vegetarier, sprechen im Song ganz direkt all jene an, die immer eine Ausrede finden, weshalb sie Fleisch essen. Und kritisieren die unsinnige Logik dahinter:

„Why do I make mistakes if it’s your fault?!“

Hansol spielt hier gekonnt mit seiner Stimme und bietet von bittersüßen Vocals bis hin zu scharfen Screams alles an, um den Song abzuschmecken. Eine letzte Referenz ans Kochen noch: Meat Free Youth entfaltet sich so wunderschön rund wie ein gutes veggie Rezept und könnte zur Hymne eines Lebensstils werden.

Das zugehörige Video lässt – obwohl klar und deutlich wird, wie ernst Shoreline das Thema ist – dennoch eine Prise Humor erkennen. 

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Solidarität, Community & Empowerment

Wie gefestigt und vernetzt Shoreline beim Release ihres gerade einmal zweiten Longplayers sind, zeigen auch die Feature Artists, die sie für ihre Sache gewinnen konnten: Em Foster (Nervus) – Meat Free YouthSmile And BurnDistant; KOJI – Konichiwa;  Brian McTernan (Be Well) – Sanctuary.

Wie schon zu Beginn erwähnt, sind nicht nur Shorelines Songwriting-Skills gewachsen, sondern auch ihre Fähigkeiten in der Umsetzung. Die härtere Gangart in etwa zwei Dritteln der Songs klingt nicht aufgesetzt oder gewollt. Auch wenn Shoreline ganz offensichtlich Bock darauf haben. Und so vermitteln sie ihre Message auf Growth mit deutlich mehr Screams und Verzerrung und verleihen den Songs dadurch mehr Power und eine wirklich großartige Dynamik.

Growth klingt trotz des enormen Wachstums und der Weiterentwicklung nicht übertrieben. Spielt man es auf der Metaebene weiter, könnte man auch das als eine Message interpretieren, die Shoreline senden möchten. Nämlich die, dass es auf das richtige Maß ankommt. Denn wenn wir aus der Kapitalismuskritik etwas gelernt haben, dann das Wachstum um jeden Preis nicht gesund ist und zum Kollaps führt. Und so ist Growth genau richtig dosierter intelligenter und – auf die Gefahr hin mich zu wiederholen – wunderschön melodiöser Punkrock mit Mitsing-Potenzial. Das kommt gleich nach Meat Free Youth im nächsten Song, Western Dream, zum Tragen. Alle, die auch gern Gitarrenhooklines mitsingen so wie ich, kommen hier auf ihre Kosten. 😉

Auch in Konichiwa – dem wohl persönlichsten Song – zeigt Hansol, was eine Stimme kann.

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Dabei teasert er nur an, was er im darauffolgenden Song Sanctuary abliefern wird. Sanctuary sticht durch seinen ungewohnt getragenen und massiven Stil mit Hardcore-Anleihen hervor, der Shoreline sehr gut zu Gesicht steht. Die sonst eher sanfte Stimme von Hansol katapultiert den Song mit wohl dosiertem Screaming in Rage – in perfekter Symbiose mit dem Gitarrenbrett und natürlich mit der Stimme von Brian McTernan (Be Well), der hier als Feature Artist mit an Board ist. Sanctuary ist auf den Punkt, sowohl inhaltlich, als auch musikalisch; ohne Umschweife und Schnörkel. Ebenfalls zum Liebhaben ist der dominante Basslauf, für den ich für die Zukunft schon mal dringend mehr Bedarf anmelde

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Disconnected weiß sich ebenfalls vom Cleanen übers Bittersüße bis hin ins Getragene und Raue zu steigern. Und das klingt – nicht zuletzt durch diese mega Bridge – so dermaßen vollkommen, dass man danach eigentlich gar nicht noch einen Song hören möchte. Was soll denn da noch kommen?

Blöde Frage, der nächste großartige Track natürlich! Holy Communion ist noch so ein Song mit Ohrwurm Potenzial und Racoon City… ach es macht ja keinen Sinn sich ständig zu wiederholen. Ich erwarte einfach, dass ihr euch Growth anhört und danach noch einmal. Dagegen könnt ihr gar nichts tun, versprochen!

Nur eins noch: GROWTH endet mit der gleichnamigen minimalistisch inszenierten Ballade, die fast schon wie ein Lullaby klingt. Eines der guten Sorte, bei dem man sich auf den nächsten Tag freut. Damit schließt das Album tatsächlich hervorragend ab. Denn auch wenn Shoreline quasi alle schrecklichen und nervigen Themen unserer Zeit ansprechen, schwingen doch immer Optimismus und Kampfgeist mit – die indirekte Drohung jeden Idioten, der es nicht versteht, in Grund und Boden zu quatschen, oder zu spielen. Ich kann mir keine schönere und konstruktivere Art vorstellen, um für die gute Sache zu kämpfen.

Growth lässt mich mit dem Gefühl zurück: Ja, is scheiße, aber das akzeptieren wir nicht. Wir wachsen über uns und den ganzen Mist hinaus!

Shoreline (Pressebild)
Shoreline (Promo-Bild)

Tracklist

  1. I Grew Up On Easy Street
  2. Distant
  3. Madre
  4. Meat Free Youth
  5. Western Dream
  6. Konichiwa
  7. Sanctuary
  8. White Boys Club
  9. Disconnected
  10. Holy Communion
  11. Racoon City
  12. Growth
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– Playlist: Happy Release Day

2 Kommentare

  1. „Eine Generation, die mit so vielen Problemen zu kämpfen hat, davor aber nicht die Augen verschließt, sondern sie mutig anspricht.“

    Ja, voll mutig. Klimawandel etc. sind voll die Tabuthemen. Aber mal ernsthaft, wenn ich so lächerliche vegane Hippie/Hisperlauchs sehe, die ihre „Musik“ ernsthaft als Punk-Rock bezeichnen, sollte Punk vielleicht doch besser sterben.

    • Zum Glück gibt es da noch die richtig Mutigen, wie dich, die sich hinter Fakenamen verstecken und in Kommentarspalten ihr Pulver verschießen. Lies doch noch mal in deinem Punk-Almanach nach und markiere mir die Stelle, an der Punk zur ignoranten und Testosteron gesteuerten Ideologie verkommen ist. Und dann lies noch mal deinen Kommentar, der nichts aussagt, ausser dass du Langeweile hast.

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