Der folgende Text ist die Meinung unseres Autors Fischi und muss nicht zwangsläufig mit der aller Autor*innen von AWAY FROM LIFE übereinstimmen.

Es ist Ende November 2020, einem turbulenten, andersartigen und in vielerlei Dingen beschissenen Jahr. Ich sitze auf dem Sofa, pendle in der Freizeit zwischen Playstation, abgegammelten Serien, die ich schon zig mal gesehen und verflucht habe und Musik hören und habe gerade den Jahresrückblick für AWAY FROM LIFE geschrieben. So ein Rückblick verlangt einem ja recht viel Reflektion ab.

Neben einiger schöner Platten gibt es in anderen Rubriken – der der tollen Live-Momente beispielsweise – nicht viel zu berichten. Und so gerate ich in’s Nachdenken darüber, inwiefern die Pandemie unsere geliebte Punk- und Hardcore-Szene denn so aufgewirbelt hat

Die Pandemie und ihre individuellen Auswirkungen

Beginnen möchte ich die Mini-Analyse zuerst bei mir selbst, denn ich bin mir sicher, dass es einigen Menschen ähnlich ergangen ist. Zu Beginn der Pandemie war ich stellenweise froh über die Veränderung in der Lebens- und Arbeitswelt – ein Ereignis von außen hebelt die scheinbar unumstößlichen Naturgesetze von Leistungsdruck und einem dauerhaften Funktionieren-Müssen quasi von heute auf morgen aus. Wow!

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Was progressive Bewegungen, linke Parteien und Organisationen oder andere politische Strukturen über Jahrzehnte nicht schaffen, schafft ein Virus von jetzt auf gleich. Ich war beeindruckt, verwirrt und auch ein Stück weit verängstigt. Zum ersten Mal seit langem passierte ein global gesehen unvorhergesehenes Ereignis, für das es keine Lösung zu geben schien.

In meinem Kopf überschlugen sich an manchen Tagen die Gedanken: Auf der einen Seite die schweren Krankheitsverläufe und das Leid für viele Familien, auf der anderen Seite das Potenzial, was so ein erzwungener Break im Business As Usual auch für die Gesellschaft und unseren Umgang mit Arbeit hätte haben können. Natürlich bin ich mir meiner privilegierten Position bewusst, wenn ich mir eine Situation, in der tausende Menschen um ihre Existenzgrundlage bangen müssen, Utopien ausmalen kann.

DIY scheint in vielen Aspekten zu einem Abzeichen geworden zu sein, welches man sich zur besseren Vermarktung selbst anheftet.

Nichts desto trotz trat dieser Gedanke oft in der arbeitsfreien / arbeitsreduzierten Zeit auf. Wie eingangs bereits angeklungen ist, hat dieser Zustand nicht bis zum jetzigen Tage angedauert. Tristesse, mangelnde soziale Kontakte, der Herbst-Blues und – so hart es auch ist es sich selbst einzugestehen – das Vermissen der Routine und Bequemlichkeit, in der man es sich vor der Krise gemütlich gemacht hat, holen einen schnell wieder zurück in die Realität. Dieses „sich abfinden“ mit den Zuständen, das stupide Konsumieren sinnentleerter Billigunterhaltung und die immer stärker aufkeimende Trägheit nahm mit den Wochen nach dem Sommer stark zu. Ein wichtiger Grund dafür war mit Sicherheit der fehlende Austausch mit Gleichgesinnten – sei es auf Konzerten, in den Kneipen oder auf der Straße. Und nun?

Wichtige Fragen gegen die Trägheit

An dieser Stelle lässt sich die erste Brücke zum Punk bauen, welcher es durch Musik und Texte schaffte, dieser Trägheit in den Arsch zu treten. Vor ein paar Tagen habe ich die fünfte Ausgabe der „Unter Palmen“ Zeitschrift gelesen, die das Thema Utopien behandelt. Fast zeitgleich stolperte ich über den Song Wir von Pogendroblem.

Dieser Song wirft intelligente und gut durchdachte Fragen auf, durch die ich es wieder schaffte, die Probleme dieser Welt nicht nur mit einem Virus in Verbindung zu bringen und die Konsequenzen, die die Krise mit sich brachte zu akzeptieren, sondern sich über fortschrittliche Zukunftsmodelle Gedanken zu machen, die auch lange nach dem Virus noch wichtig sind und erkämpft werden müssen.

Pogendroblem hatten einen großen Anteil daran, dass ich es wieder schaffte die scheinbare Trostlosigkeit und die Dauerpräsenz des Virus zu brechen und die verfügbare Zeit für sinnvolle Gedanken, Recherchen und Gespräche zu nutzen.

Was hat die Geschichte nun mit dem Zustand unserer Punkrock-Szene zu tun?

Von Szene-Romantik und Eintönigkeit…

Auch wenn man sich heute wehmütig an Konzerte und Festivals von vor der Pandemie zurückerinnert, trügt die romantisierte Vorstellung einer heilen Szene-Idylle mit tollen Konzerten. Klar – es gab tolle Konzertmomente letztes Jahr und die Jahre zuvor. Was für mich jedoch auch klar ist, ist das Verständnis einer Subkultur für viele innerhalb der Punker-Gemeinde, welches oft diametral den Werten, Idealen und der sich selbst gegebenen Progressivität entgegensteht. DIY scheint in vielen Aspekten zu einem Abzeichen geworden zu sein, welches man sich zur besseren Vermarktung selbst anheftet.

Große Festivals wie das Punk In Drublic ziehen große Menschenmassen in die Hallen der Nation, um ehemalige Legenden zum xten Mal live zu sehen. Stattdessen werden kleine Hardcore- und Punkkonzerte kaum noch besucht und wenn, dann als Art Pflichtveranstaltung. Saufen und das Schwelgen in Erinnerungen wiegen oftmals höher als der Blick auf wirklich gute junge Bands und Ideen. Eine vormals gefährliche und den Status Quo störende Bewegung ist Punk ja sowieso schon lange nicht mehr. Kurz: Auch die Szene in der wir uns bewegen scheint an vielen Ecken und Enden träge geworden zu sein. Dass wir als Menschen, die nicht nur gern laute und aggressive Musik hören, Stück für Stück in die Verwertungs- und blinde Konsumlogik reinrutschen stimmt mich nachdenklich. Denn dass Potenzial zu mehr da ist, ist für mich sehr klar und an verschiedenen Faktoren immer wieder ersichtlich: Seien es neue Festivals & Konzertkollektive die entstehen, die Diskussionen über Sexismus und Mackertum in den eigenen Reihen oder auch die große Solidaritätswelle für existenzbedrohte Clubs und Veranstalter*innen.

Vielleicht sind es die allgemeinen Umstände, welche natürlich nicht abgekapselt vom Rest der Gesellschaft an einem vorbeilaufen können, die Menschen innerhalb einer eigentlich aktiven und selbstbestimmten Szene resignierter und weniger euphorisch werden lassen, wodurch angesprochenen guten Sachen nicht genügend Beachtung beigemessen wird und man doch wieder dorthin zurückfällt, was man bereits kennt.

…hin zu mehr Euphorie und Mut Dinge auszuprobieren!

Hier kommt nun erneut der bereits erwähnte Song in’s Spiel. Denn ich halte es für wichtig, sich gerade in unserer Bubble Gedanken darüber zu machen, wie wir in Zukunft gemeinsam leben und Dinge gestalten wollen. Dafür sind DIY-Strukturen und Wirtschaften abseits kapitalinteressierter Zusammenhänge (zum Beispiel durch Labels, kleine Konzertläden, etc.) tolle Möglichkeiten diesen und noch viel mehr Fragen auf den Grund zu gehen. Anknüpfungspunkte dafür bieten viele Bands, die wichtige Themen direkt ansprechen, oftmals aber zu wenig gehört und gesehen werden.

Und nun?

Corona hat uns als Subkultur ein Stück weit ausgebremst, aber vielleicht war das auch mal nötig. Denn es gibt viele großartige junge Bands – wenn ich mir beispielsweise die lebendige und diverse US-amerikanische Hardcore-Punk-Szene anschaue – die inhaltlich wie auch musikalisch fortschrittlich agieren und es schaffen, diesen Drive bei mir wieder herzustellen und mich mitzureißen. Ich bin mir sicher, dass es vielen in diesem Punkt ähnlich geht. Und ich bin mir auch sicher, dass wenn es nächstes Jahr wieder möglich ist Konzerte und Strukturen neu zu beleben, wir nicht einfach so weitermachen sollten wie bisher.

Ich denke es ist wichtig, die Müdigkeit zu sehen, zu hinterfragen wieso das so ist und den Blick darauf zu richten was wir gut (und auch was wir besser) machen können. Generell denke ich, dass wir uns wieder vermehrt Fragen zuwenden sollten, auf die man so einfach keine Antwort findet:

Wie wollen wir uns organisieren? Wie wollen wir zusammen kämpfen? Und für was überhaupt?

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1 Kommentar

  1. Ich hab mit meiner band sehr viel musik produziert in den letzten monaten. Ich kann mir vorstelen das nach corona auch einiges auf dem markt schwemt und die szene ordentlich belebt. Wer will schon jetzt was releasen, man wird den kram ja nicht los!

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