Wie Cro-Mags unlängst bekanntgegeben haben, werden sie am 19. Juni ihr neues Album In The Beginning über Arising Empire und Mission Two Entertainment veröffentlichen. Das erste Album der NYHC-Legende seit ganzen zwei Jahrzehnten!

Aus diesem Anlass hatten wir die Möglichkeit, den Frontmann, ganz nebenbei auch eine der wichtigsten Personen des Genres, Harley Flanagan zu interviewen. Dafür hat sich Fabien (an dieser Stelle nochmal vielen Dank!) dafür bereit erklärt, mit Harley zu skypen.

PS: Das Interview ist übrigens unser 10.000er Beitrag seit unserem Start vor etwas mehr als fünf Jahren.

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„Hardcore ist der Arschtritt, den manche Menschen suchen und brauchen“

Cro-Mags-Sänger und Bassist Harley Flanagan im Interview

Harley Flanagan (Cro-Mags, 2019, Bild by Fernando Godoy)
Harley Flanagan (Cro-Mags, 2019, Bild by Fernando Godoy)

AFL: Was für ein Jahr! Letztes Jahr warst du mit den Cro Mags in den USA und Europa auf Tour und jetzt der große Schock: keine Live Konzerte, generell keine Reisen. Wie fühlt sich das für dich an?

Harley Flanagan: Es ist ein wenig verwirrend! Wir bekommen jeden Tag neue Infos. Ich hatte einige Shows für dieses Jahr gebucht und die werden nach und nach gecancelled. Ich denke, sie werden wohl demnächst alle abgesagt werden. Es ist echt eine verrückte Zeit. Ich denke, keiner von uns hat in seinem Leben sowas schon mal erlebt, zumindest habe ich das nicht.

Ich habe New York noch nie in so einem Zustand, so leer, gesehen. Vor den Leichenhallen stehen Kühltrucks, weil sie keinen Platz für die ganzen Leichen haben.

Einer meiner Nachbarn ist gestorben, über und unter meinem Appartement sind die Leute krank. In dem Wohnhaus, wo Laura und ich leben, sind mindestens drei Wohnungen infiziert.

AFL: Das tut mir Leid!

H.F.: Ja, der Mist ist echt ernst! Aber ich denke, das Wichtigste daran ist, dass die Leute einander respektieren und ihren Freiraum geben, Abstand halten und so, weißt du?

Es gibt eine Menge Drama im Hardcore, der sowas von kindisch ist, totaler Kindergarten-Bullshit.

Auf der anderen Seite hast du einen Haufen Kids, die Ihre Maske um ihr Kinn tragen und sich den Joint durch die Runde reichen. Was zur Hölle?!

AFL: Ja, das ist mir in Deutschland auch schon einige Male aufgefallen.

H.F.: Ich meine, ist das für die nur so eine Art Mode-Statement oder was? Aber wie so oft denken viele junge Leute, dass die schlechten Dinge eh nur allen anderen, außer ihnen, passieren.

AFL: Ja, einige nehmen den Mist nicht ernst genug, das ist ein großes Problem. Aber ich denke, sie werden es früh genug lernen.

H.F.: Traurigerweise werden einige es erst lernen, wenn sie ein Familienmitglied infizieren und damit umbringen…

Viele kritisieren zurecht die Einschränkungen und das alles, aber ernsthaft?! An diesem Punkt, wo wir uns jetzt befinden, müssen wir uns zuerst um das Problem selbst kümmern. Ist das Virus menschengemacht oder nicht…ich denke ja!

Aber im Moment ist das egal, wir müssen uns zuerst um die Situation kümmern, bevor wir das Ganze in einen politischen Kampf übertragen.

Eine Menge Leute in Amerika protestieren, indem sie sich versammeln. Die nehmen ihre Flaggen und Waffen mit und demonstrieren! Was wollt ihr machen? Das Virus erschießen? Denkt ihr wirklich, eure scheiß Flagge wird euch davor beschützen?!

AFL: Nur wenn du sie als Maske benutzt.

Harley Flanagan mit Cro-Mags (Photo by Claudia Kötters)
Harley Flanagan mit Cro-Mags (Photo by Claudia Kötters)

H.F.: Und selbst dann nicht. Die Leute müssten ein bisschen cleverer sein. Das wird nicht das Ende allen Lebens sein! Naja, es wird das Ende des Lebens sein, das wir kennen, aber nicht das Ende allen Lebens an sich! Die menschliche Rasse hat schon immer mit Seuchen und Naturkatastrophen zu kämpfen gehabt. Aber wir werden das Ganze überleben.

AFL: Ich stimme dir zu! Ich habe das Gefühl, manche, auch in der Hardcore- und Punk-Szene, brauchen mal wieder eine kleine Krise, um ihren Zusammenhalt wiederzufinden.

H.F.: Unsere Immunsysteme werden stärker werden, wir werden einen Impfstoff entwickeln, aber bis dahin schulden wir es, denke ich, jedem Menschen, ein bisschen mehr Rücksicht zu nehmen. Ich zum Beispiel trage jetzt immer eine Maske, wenn ich raus geh. Weniger, weil ich Angst davor habe, mich anzustecken oder so, sondern viel mehr, um anderen Leuten das Gefühl zu geben, dass ich auf sie achte und sie weniger Angst haben müssen. Und ich habe in letzter Zeit häufig mit Leuten auf der Straße, natürlich mit Sicherheitsabstand, geredet und jeder fühlt sich gestresst durch die Situation.

Vielleicht hat das Ganze auch eine positive Auswirkung auf die Punk-Rock- und Hardcore-Community. Vielleicht werden die Leute verstehen, dass wir viel gedrängter im gleichen Boot sitzen, als mancher vielleicht ahnt.

Ja! Viele Leute werden die Situation allerdings wieder für ihren politischen Idealismus ausnutzen und Hass streuen. Menschen mögen es nicht, wenn ihnen ihre Fesseln gezeigt werden. Es gibt einen Haufen unglücklicher Menschen, die darauf nur warten. Ich hoffe, dass diese belanglosen Kleinigkeiten verkümmern werden, die die Menschen so unglücklich machen. So auch im Hardcore.

Es gibt eine Menge Drama im Hardcore, der sowas von kindisch ist, totaler Kindergarten-Bullshit. Vielleicht werden einige realisieren, wie dämlich sie klingen, wenn sie die ganze Zeit nur rumprollen. Ich meine, Social Media-Battles im Hardcore: Was zur Hölle? Menschen sterben gerade und ihr habt nichts Besseres zu tun?

AFL: Ja, ich verstehe was du meinst. Es hat sich in den Jahren vieles in der Szene geändert, überhaupt nicht vergleichbar mit dem, was ihr früher in New York erlebt habt, als ihr aufgewachsen seid.

Ich denke, das ist auch ein wichtiger Punkt in deinem neuen Album In The Beginning, nicht wahr? Ich war echt gespannt darauf und hatte heute zum ersten Mal die Möglichkeit es zu hören.

Cro-Mags – In The Beginning (2020)

H.F.: Hast du dir alles angehört? Das ganze Album?

AFL: 5 Mal.

H.F.: Okay, ich gehe mal davon aus, dass es dir gefallen hat?

AFL: Ja, es ist der Hammer! Ich höre Cro-Mags schon lange. Mein liebstes Album war bis jetzt immer Revenge, weil es seine Höhen und Tiefen hatte und dich von Freude zu Wut wirft. Ich mochte es, weil es eine ganz verrückte, positive Stimmung transportierte.

Aber In The Beginning tritt dir einfach so hart in den Arsch, dass du beim Hören schon anfängst, darüber nachzudenken, was du heute mit dir anfängst. Ich fand es total motivierend!

H.F.: Sehr gut! Genau das soll es auch, das ist exakt das, was ich transportieren wollte!

Ich wollte genau das Gefühl wiederherstellen, was die Leute durch The Age Of Quarrel bekamen.

Weißt du, die Musik, die wir spielen, soll die Leute dazu inspirieren, etwas zu machen, in Aktion zu treten! Hardcore ist der Arschtritt, den manche Menschen suchen und brauchen, es ist der Ausgleich zu deinem Normalo-Leben. Es ist das gleiche Gefühl, wie wenn Leute skaten, surfen oder aus einem verdammten Flugzeug springen – oder in meinem Fall von der Bühne!

Diese Musik sollte dein Herz schneller schlagen lassen, dich dein Adrenalin spüren lassen.

AFL: Wir hatten uns vor ein paar Monaten bei einem Konzert in Leipzig schon mal unterhalten und ich erinnere mich, wie du gesagt hast, dass das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und 110% zu geben das gleiche Gefühl ist, wie Sex zu haben oder zu kämpfen.

H.F.: Genau! Wenn du den Mist ernst meinst, dann verpflichtest du dich auch dafür. Warum seine Zeit verschwenden?

AFL: Was ich sehr an dem Album zu schätzen weiß ist, dass du psychische Gesundheit thematisierst. Bis auf Ausnahmen ist das im Hardcore, vor allem im NYHC, nicht die Regel.

H.F.: Nun, als ich Best Wishes rausbrachte, war es auch nicht üblich, über Vegetarismus zu singen. Und heute ist jeder Veganer. Ich scheue mich nicht davor, neues Territorium zu betreten.

AFL: Ich finde es mutig, über mentale Gesundheit zu sprechen. Es ist immerhin ein Thema, über das viele nicht sehr gern sprechen wollen, auch, wenn sie es gerne würden.

H.F.: Aber es ist etwas, mit dem wir alle klar kommen müssen! Ich habe selbst nicht mal gemerkt, dass ich eine Posttraumtische Stress-Störung (PTSD) habe, bis mein Freund Jocko Willink es mir gesagt hat. Er ist ein bekannter Navy Seal, ein Motivationsredner und ein alter Cro-Mags Fan. Und er sagte mir, dass für ihn kein Zweifel bestehe, dass ich PTSD habe, aufgrund dessen, wie ich aufgewachsen bin und gelebt habe. Er hat damals in meiner Nachbarschaft gewohnt und hat das damals alles mitbekommen. Und er sagte zu mir, dass die Lower East Side ein verdammtes Kriegsgebiet war. Ich meinte nur, dass ich das nicht beurteilen könne, ich war nie in einem Kriegsgebiet. Er sah mich nur emotionslos an und sagte: „Nun, ich war es. Und du warst es auch!“.

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Und wenn dir das ein verdammter Navy Seal sagt, dann fängst du echt an nachzudenken. Ich würde nie sagen, dass mein Leben normal war, aber es war normal für mich. Ich habe so viel Gewalt in meinem Leben gesehen; von den Sachen, in die ich involviert war mal ganz abgesehen. Ich habe so viele Junkies konsumieren und sterben sehen…

Wenn du da mittendrin lebst, dann wirkt das Ganze für dich nicht unnormal oder verrückt. Als ich dann mein Buch geschrieben habe, habe ich zum ersten Mal realisiert, wie verrückt das eigentlich alles war. Und als er mir dann kurz darauf gesagt hat, dass ich PTSD habe, habe ich festgestellt, dass sich das auch in meinem Gewohnheiten und meinem Lebensweg widergespiegelt hat.

AFL: Würdest du sagen, dass dich dein damaliges Leben auch in den Kampfsport-getrieben hat?

H.F.: Ja, auf jeden Fall, das hängt alles zusammen. Von der Musik, die ich spiele, den Texten, die ich schreibe, bis hin zu den Martial-Arts, die ich praktiziere. Das ist alles…

AFL: …Teil eines Kreislaufes?

H.F.: Ja schon. Alles was du erlebst und siehst, musst du irgendwie verarbeiten. Ich bin in einer Welt voller Kämpfe aufgewachsen. Und jetzt ist es mein Job, Kinder in Jiu Jitsu zu unterrichten. Ich trainiere die Kinder im Renzo Gracie Dojo.

Ob du nun ein Hardcore Kid, Skinhead oder Punk bist, das ist doch scheißegal.

Ich habe es geliebt, zu kämpfen; jetzt liebe ich es, auf spielerische Art und Weise zu kämpfen, mit Freunden und Schülern. Weil wir halt nur trainieren, wir wollen einander nicht umbringen. Und wenn mein Trainingspartner abklopft, weiß ich, dass er in einem anderen Setting jetzt tot sein könnte. Umgekehrt könnte ich genauso tot sein, wenn ich abklopfe. Und das ist okay, am Ende können wir uns die Hand geben und sagen, verdammt war das geil. Und keiner muss um sein Leben bangen.

AFL: Klar, so sollte es im Sport auch sein.

H.F.: Ja! Ich bin zu Jiu Jitsu wegen meiner ganzen Prügeleien gekommen. Ich wollte mehr darüber lernen, meine Gegner fertig zu machen – jetzt ist es mehr die Liebe zur Kampfkunst, zu meinem Dojo und zu Renzo. Er ist eine der größten Inspirationen für mich. Ich vermisse das alles total.

Ich habe seit Monaten nicht gearbeitet wegen der Corona-Scheiße. Ich vermisse meine Freunde, meine Schüler. Es kotzt mich an, dass die ganzen Shows abgesagt wurden. Aber weißt du was? Wenn alles wieder halbwegs normal wird, dann müssen wir das alle mehr als nur zu schätzen wissen. Wir dürfen nie vergessen, was wir gerade durchmachen und bereits durchgemacht haben.

Harley Flanagan (Cro-Mags, 2019, Bild by Fernando Godoy)
Harley Flanagan (Cro-Mags, 2019, Bild by Fernando Godoy)

Du weißt nie, wann es vorbei sein könnte mit deinem Leben, deiner Freiheit und so weiter, mit der Realität, die du normalerweise kennst. Es kann die kleinste Sache sein, zum Beispiel, keine Elektrizität mehr zu haben! Ich erinnere mich an die Blackouts in New York damals und ich erinnere mich daran, dass die Leute total ausgerastet sind, überall eingebrochen sind und alles haben mitgehen lassen, was sie zwischen die Finger bekommen konnten. Und das war nur ein verdammter Stromausfall! Nur mal als Beispiel, wie schnell alles eskalieren kann, wegen Kleinigkeiten!

AFL: Ja – als das Virus ausbrach, habe ich mir als erstes gedacht, dass das gefährlichste an der Sache wahrscheinlich die Panik der Menschen ist. Wenn die Leute anfangen, auszurasten, dann eskaliert die Krise noch mehr.

H.F.: Ja, das kann passieren. Ich versuche, möglichst positiv zu bleiben und positiv auf die einzuwirken, zu denen ich eine Reichweite habe. Aber wir gehen alle gerade den gleichen Weg und jeder ist frustriert. Jeder geht damit anders um.

AFL: Denkst du, dass dieses Community Feeling, über das wir gesprochen haben, in der New School Szene genau so stark vertreten ist? Es gibt eine Menge New School Bands usw…

H.F.: Ohne euch würde die Musik sterben und ich bin froh, dass es euch gibt! Ich hoffe nur, dass die New School sich weiterentwickelt und ein bisschen intelligenter und kultivierter wird. In jeder Generation gab es einen gewissen Sinn in dem, was wir gemacht haben. Für eine Weile sah es für mich so aus, als ob aus Hardcore ein negativer Haufen Scheiße wird.
Ich rede von den ganzen Posern und Möchtegernschlägern. Du hattest eine Zeit lang mehr Sorge, in einen Kampf verwickelt zu werden, als eine gute Zeit zu haben. Es sollte aber so nicht sein. Du solltest dir vielleicht Sorgen machen, in einen Kampf verwickelt zu werden, wenn du auf dem Weg zu einer Show bist, aber nicht auf der Show selbst.

Ich weiß nicht, wie es jetzt aussieht, aber für eine ganze Zeit hatten sich die Leute auf den Konzerten ganz schön am Arsch, weil sie mit der Heterogenität nicht klar kamen. Ob du nun ein Hardcore Kid, Skinhead oder Punk bist, das ist doch scheißegal. Innerhalb eines Konzerts sollte man keine Problem miteinander haben. Ich nehme mich da nicht raus. Als ich ein Skinhead war, war ich ein verdammtes Problem! Ich habe die Nächte einiger Leute ruiniert und die Leben einiger Leute!

„Ich muss mich erinnern, ich muss die Reue tragen und ich muss derjenige sein, der anderen sagt, sie sollen den Scheiß lassen.“

Ehrlich gesagt habe ich, wenn wir zurück zu meinen Texten wechseln, mehr posttraumatischen Stress davon, dass ich andere Menschen so verletzt habe, als davon, dass ich verletzt wurde. Die Dinge die ich getan habe… weißt du, die Dinge, die du tust, wenn du high bist, jung bist und mit den falschen Leuten abhängst, bereust du später sehr. Hinzu kommt noch, dass ich fast immer der Jüngste war!

Ich erzähl dir eine kurze Geschichte, ich muss mich aber beeilen, wir haben danach gleich das nächste Interview.

Ich habe eine Menge Freunde, von Kriminellen, bis hin zu Cops. Einer davon ist ein Police Detective und er hat mir von einem aktuellen Fall erzählt. Dabei waren vier Leute in ein Drive By verwickelt und haben einen Typen umgebracht. Einer von den Leuten im Auto war 14 Jahre alt. Ein anderer 15, der nächste 23 und der letzte 35. Ich sehe mich selbst, wie ich 15 Jahre alt war, umgeben von Leuten, die 20 Jahre und älter waren.

Leute, die einen Haufen Scheiße gebaut haben, in den ich nie hätte involviert sein dürfen. Ich war immer auf der Straße. Ich hatte nicht den Halt meiner Familie. Ich musste im wahrsten Sinne auf der Straße überleben und hatte mit echt schlechten Leuten zu tun. Das ist genau der Punkt, den ich Leuten immer wieder ans Herz lege, dieser ganze Gang-Scheiß…

Ich war nie in einer Gang aber ich hatte mit verdammt schlimmen Leuten zu tun und das ist weder lustig noch gut. Du kommst in Situationen in deinem Leben, in denen du der nächste auf der Speisekarte bist, wenn du dir nicht die Hände schmutzig machst.

AFL: Ich glaube, heute kann kaum jemand behaupten, eine Jugend wie du gehabt zu haben.

H.F.: Und das ist eine harte Wahrheit, mit der ich leben muss. In dieser Zeit sind eine Menge Dinge passiert, mit denen ich heute leben muss. Aber ich finde nicht, dass mich das ausmacht, dass mich das zu der Person macht, die ich denke, heute zu sein.

Wenn ich Kids sehe, die diesen Lebensstil feiern und dem nacheifern, denke ich mir: Ihr wart noch nicht da, wo ich war, dass ihr verstehen könnt, wie abgefuckt dieses Leben ist.

Ich habe einen Freund, der insgesamt 17 Jahre im Gefängnis gesessen hat, er wurde mehrere Male angeschossen – und er ist jünger als ich! Und dabei hat er mehrere Kinder. Und ein anderer Freund, er hat Cello auf dem Album gespielt, ist in einer Gang.

Cro-Mags

Er saß auch mehrere Jahre im Gefängnis, wurde häufig angeschossen. Und als wir zusammensaßen, haben wir über das geweint, was wir früher erlebt und getan haben.

Ich schlafe noch heute schlecht und träume von den Gesichtern. Ich bin froh, dass ich heute diese Reue habe. Ich bin froh, Schuld zu empfinden. Viele Leute sagen mir immer, ich soll diese Schuld ablegen, aber ich denke, ich darf diese Schuld nicht ablegen, denn das schulde ich den Menschen, denen ich Unrecht angetan habe.

Ich muss mich erinnern, ich muss die Reue tragen und ich muss derjenige sein, der anderen sagt, sie sollen den Scheiß lassen.

AFL: Und wir als Cro-Mags Fans wollen dir dabei helfen, deine Message hinauszutragen. Ich habe noch eine weitere Frage: Du hast über dein Leben erzählt, über PTSD, und das ist auch das große Thema in dem Film „Between Wars“, in dem du mitgespielt hast.

H.F.: Ja, das war auch witzig. Ich hatte keine Ahnung, dass es um PTSD gehen wird, als ich für die Rolle zugesagt habe und das Skript das erste Mal in den Händen hielt. Und als ich das Skript durch hatte, dachte ich mir: Wow, das ist ganz schön abgefuckt. Denn genau zu dem Zeitpunkt, wo wir gedreht haben, habe ich eine Menge durchgemacht. Um das klar zustellen – ich drehe nicht jeden Tag durch, diese Anfälle kommen in Schüben.

Auf jeden Fall: die Rolle, die ich gespielt habe, ist ein richtig mieser Typ und ich habe mich so in dieser Rolle verloren – ich glaube, man nennt das „Characteracting“ – dass ich einige Wochen gebraucht habe, wieder zu mir zu finden. Ich war ziemlich aggressiv und hatte Mühe, mir diesen Gangster Slang abzugewöhnen. Ich wurde durch die Rolle so sehr in mein altes Ich versetzt, das ich schon seit langer Zeit nicht mehr kannte.

Meiner Frau fiel es zu dem Zeitpunkt schwer, in meiner Nähe zu sein. Ich war nur noch am fluchen und prollen.

Scheiße, wir müssen uns beeilen. Heute ist der Tag der Interviews, lass uns das schnell beenden.

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AFL: Würdest du sagen, es gab viele Parallelen zwischen dir und der Rolle, die du gespielt hast?

H.F.: Abgesehen von meiner musikalischen, kreativen Seite, war die Rolle für mich wie gemacht. Das war absolut ich. Ich habe nunmal viel davon auch erlebt und die Rolle war wie ein Ventil dafür. Genauso, wie meine Kreativität schon immer ein Ventil für Gewalt war.

AFL: Eine weitere Sache, die die Leser bestimmt sehr interessieren wird, ist, welche musikalischen Einflüsse du hattest, als du das Album produziert hast.
Hast du andere Hardcore Bands gehört? In letzter Zeit kamen einige neue, gute Alben raus, wie z.B. Get Loud von Agnostic Front.

H.F.: Ich will ehrlich zu dir sein und ich hoffe, das bekommt keiner in den falschen Hals. Das denke ich nicht.

Ich glaube, ich habe seit langer Zeit keinen Hardcore gehört, der nicht aus den 80ern kommt. Das heißt nicht, dass ich die Bands nicht mag, die ich sehe oder mit denen ich spiele. Und ich glaube, ich habe kein AF Album gehört in den letzten 30 Jahren…
Ich habe hier und da mal einen Song gehört, aber ansonsten nicht viel. Ich höre mir so viele verschiedene Genres an, unzählige Styles usw. Ich habe die Bad Brains gesehen, und Black Flag, Minor Threat… eigentlich jede ikonische Hardcore Band. Davon gibt es mittlerweile wenig, was einen bleibenden Eindruck hinterlässt und ehrlich gesagt höre ich nicht so gern Musik des gleichen Genres, das ich spiele.

Das liegt daran, dass ich verhindern will, dass andere Künstler des gleichen Genres mich in meinem Songwriting beeinflussen. Zum Beispiel habe ich das vorletzte Album von Red Death sehr gefeiert und als ich an einem neuen Song gearbeitet habe, fiel mir auf, dass es ein wenig nach Red Death klang. Verdammt! Ich hab das Chad erzählt, er musste lachen. Er meinte, dass meine Musik ihn beeinflusst hat, also wäre der Kreis jetzt geschlossen.

Das vorletzte Body Count Album habe ich auch sehr gemocht und ich musste leider aufhören, es zu hören. Weil ich angefangen habe, ein Riff zuschreiben, dass fast genau wie Body Count klang. Was ich sagen will, ist: Ich muss nicht so viel Hardcore hören, es gibt so viel andere großartige Musik und ich will nicht, dass ich von anderen Künstlern zu sehr beeinflusst werde.

Harley Flanagan (Cro-Mags, 2020, Bild by Laura Lee Flanagan)
Harley Flanagan (Cro-Mags, 2020, Bild by Laura Lee Flanagan)

Ich will meinen Sound behalten und nicht anpassen. Bezogen auf das Album und was mich beeinflusst hat, würde ich sagen, dass es von Pink Floyd bis zu den Bad Brains, zu Minor Threat, Black Sabbath geht – ich würde sagen, alle ikonischen Bands haben mich dabei beeinflusst. Ich meine, ich habe ein verdammtes Cello in dem Album drin! Ich wollte alle Elemente hineinbringen, bei denen ich finde, dass sie die besten sind. Ich will nichts wieder erfinden, ich habe einfach versucht, es besser zu machen.

AFL: Und ich finde, dass du das voll und ganz geschafft hast. Das Album ist der Hammer und ich bin gespannt, was die Leser denken werden.

H.F.: Das bin ich auch.

Cro-Mags neues Album In The Beginning wird am 19. Juni 2020 über Arising Empire und Mission Two Entertainment erscheinen.

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– Playlist: Happy Release Day

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