RAZZIA – Interview mit der Deutschpunk-Legende

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In diesem Jahr feiert Razzia aus Hamburg ihr 40-jähriges Jubiläum und gehört somit zu den dienstältesten Deutschpunk-Bands. Im März erscheint das neue Album Am Rande von Berlin, auf der neben Sänger Rajas Thiele auch die beiden Gründungsmitglieder Andreas und Peter Siegler zu hören sind. Für mich als Wahlhamburger, eine große Freude und Ehre, dass sich Andreas und Peter Siegler bereit erklärt haben, einige Fragen über die Vergangenheit und Gegenwart zu beantworten.

Ob die Jungs immer noch Spaß haben ihre alten Stücke live zu spielen, was sie rückblickend gerne anders gemacht hätten und welche ihr persönlichen Lieblings Razzia Songs sind, erfahrt ihr unter anderem im nachfolgenden Interview.

Razzia

AWAY FROM LIFE: Vielen Dank das ihr euch die Zeit für dieses Interview nehmt. Wie fühlt man sich als eine der dienstältesten Bands im Deutsch-Punk?

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Andreas Siegler: Wir dachten Anfang der 80er eine LP rauszubringen und noch ein paar Jahre Auftritte geben zu dürfen. Keiner von uns hätte ernsthaft geglaubt, sich 40 Jahre später noch damit zu beschäftigen. Trotzdem gehören wir in Hamburg eher zur zweiten Generation von Punk-Bands: RAZORS und SLIME sind schon länger dabei.

Peter Siegler: Wir können mit dieser Tatsache gut leben. Entscheidender ist dann wohl, ob das Publikum auch mitzieht. In anderen Musikbereichen, wie Jazz, Blues oder Metal haben die Leute keine Probleme mit älteren Musikern.

AFL: Welche Gedanken kommen euch, wenn ihr z.B. an großen Festivalplakaten vorbei geht und dort als Headliner Bands wie z.B. Slime lest? Was ist eurer Meinung nach noch von den ursprünglichen Werten dieser Bands vorhanden und wie steht ihr mittlerweile zu euren damaligen Texten?

PS: Wenn Gruppen wie Slime oder Dritte Wahl heutzutage vor großem Publikum spielen, geht das mehr als in Ordnung und ist völlig OK. Sie haben, wie RAZZIA auch, jahrzehntelang Arbeit in ihre Musik investiert, in verschimmelten Ü-Räumen geprobt und viele Stunden auf der Autobahn in überladenen PKWs verbracht. Ob sich die ursprünglichen Werte von diesen Bands verändert haben oder was von ihren Ansichten aus den Anfangstagen geblieben ist, weiß ich nicht. RAZZIA hatten vor der ersten Veröffentlichung im Jahre 1982 auf dem Sampler „Underground Hits“ einige textlich Ausfälle, die ich heute nicht mehr unterschreiben würde.

AS: Also ich finde es in Ordnung, wenn Bands mit denen ich aufgewachsen bin, viele Leute ansprechen. Zu den RAZZIA-Texten: Es gibt viele alte Texte von uns, die finde ich immer noch gut. Die sind in der Mehrzahl. Wenige andere bewegen sich nicht mehr in der heutigen Realität. Die haben wir aber auch nicht mehr im Programm.

AFL: Ein Kollege von Away From Life hat euch über diverse Sampler-Beiträge der 90er kennengelernt. Was glaubt ihr woran es liegt, dass Sampler aus der Mode gekommen sind?

PS: Heute kannst du dir Tausende Bands, aus jedem Land und jeder Zeitepoche problemlos im Internet reinziehen. Da hält kein Sampler mehr mit.

AS: Früher war die Nachfrage an ungewöhnlicher Musik viel größer als das Angebot. Heute ist es umgekehrt.

AFL: Was sind eurer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Punk in den 80ern, den 90ern und der heutigen Zeit?

PS: In meiner Jugend war Punkrock spannender, interessanter und in keiner Weise gesellschaftlich akzeptiert. Eher gefährlich und brutal. Zu den 90ern kann ich nicht allzu viel sagen. Wurde da nicht Hardcore und Skatepunk populär? Ich weiß es nicht mehr genau. Heute ist Punk eher eine Musikrichtung, die der reinen Unterhaltung dient.

AS: In den 70ern bedeutete Punk, dass jeder der ein Mikro oder eine Gitarre richtig herum halten konnte, die Möglichkeit hatte, eine Band zu gründen, ohne lange zu lernen. In den 80ern hat das dann auch jeder gemacht und es kamen jede Menge Scheiben raus, die heute unhörbar sind. Später wurde jenes langweilig und alle wollten sich davon entfernen. In den 90ern begann die schnelle technische Entwicklung, die zur Folge hat, dass heute jedes Wort und jeder Schritt auf der Bühne online sind, bevor du deine Sachen nach Hause gebracht hast und Dir noch 20 Jahre später um die Ohren gehauen werden. Es wird also mehr auf Qualität geachtet.

AFL: Habt ihr eigentlich noch Spaß daran die alten Stücke zu spielen?

PS: Es ist immer wieder erfreulich, wenn bei Songs, die vor 40 Jahren komponiert wurden, live immer noch die Hütte wackelt.

AFL: Welches sind denn eure drei Lieblingssongs von Razzia?

PS: „Schatten über Gerolshofen“, „Kaiserwetter“ und „Straße der Krähen“.

AS: Drei neue Songs: „Willst du das wirklich“, „Berchtesgaden“ und „Nitro“.

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AFL: Habt ihr noch musikalische Vorbilder?

PS: Ja, Musiker die ihr Instrument gut spielen.

AS: Klar, viele: SYSTEM OF A DOWN, PISTOLS, CLASH, MISFITS, RUTS, IGGY POP, ROKY ERICSON, SOCIAL DISTORTION, MEAT PUPPETS, usw.

AFL: Welche Bands hört ihr Privat gerade am liebsten?

PS: Das kommt immer auf meine Stimmung an. In den letzten Jahren höre ich öfters mal Dave Grohl und seine Foo Fighters.

AS: Momentan PASCOW, RAMMSTEIN, SLIPKNOT, SYSTEM OF A DOWN, LIVE OF AGONY, DANZIG, Metal-Cover von LEO MORACIOLLI, BLACK STAR RIDERS, usw.

AFL: Was hat euch eigentlich zu der Reunion bewogen? Und warum habt ihr so lange für eine neue Scheibe gebraucht?

AS: Wir haben Spaß daran, zu proben, Konzerte zu geben, und an neuen Titeln zu arbeiten. Es ist für mich nach wie vor großartig, mir etwas zuhause auszudenken, diese Idee dann zu begleiten, um sie dann schließlich auf einem Tonträger wiederzufinden. Es hat lange gedauert, bis alle mit dem Ergebnis zufrieden waren.

PS: Die Zeit für eine Plattenproduktion ist für uns nicht entscheidend. Wir haben keinen Veröffentlichungsdruck.

AFL: Was können wir denn eigentlich von dem neuen Razzia Album erwarten? Wird es an die alten Sachen anknüpfen oder wird es was ganz Neues?

AS: Es knüpft meiner Meinung nach mehr an die „Ausflug mit Franziska“ an, als an spätere Veröffentlichungen, auch wenn kein Keyboard zu hören ist, außer bei „Lauf Junge, lauf“. Ist schon etwas Neues, obwohl die Band ja dieselbe ist. Es scheint so, als hätten wir unseren Stil erkannt.

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AFL: Wovon handeln die Texte? Gibt es Schwerpunkte und wer schreibt die Texte?

AS: Die Texte schreibe ich. Schwerpunkte gibt es nicht, auch wenn sie mehr persönliche Geschichten transportieren, als weltbewegende Inhalte.

AFL: Wie sind die Songs für das neue Album entstanden? Habt ihr einen Songwriter oder arbeitet ihr alle zusammen an den Songs?

AS: Unterschiedlich. In der Regel arbeiten wir die Songs aber gemeinsam aus, auch wenn die Grundidee von einer Person kommt. Im Probenraum oder auch auf Ferienfreizeiten.

PS: In den Sommerferien bin ich immer am kreativsten….

AFL: Wird es das neue Album auch auf Vinyl geben?

Razzia 2015 , Berlin SO36

AS: „Am Rande von Berlin“ wird auch als Doppel-LP mit drei bespielten Seiten veröffentlicht.

PS: Die ersten LPs sind in farbigem, rotem Vinyl.

 

 

AFL: Habt ihr eine große Tour im Rahmen der Veröffentlichung geplant oder mehrere kleinere Etappen?

AS: Geplant sind einzelne wenige Auftritte.

PS: Auf eine große Tour mit 30 Gigs in Folge haben wir im Moment keine Lust.

AFL: Wenn ihr heute auf Tour seid, was hat sich im Gegensatz zu früher verändert?

PS: Früher haben wir schon auf der Hinfahrt zum Gig Party gemacht. Haben in Anfangsjahren Gagen erhalten, die die Benzinkosten grade mal so deckten und haben, wenn wir nicht nach einem Auftritt nach Hamburg gefahren sind, privat bei irgendwelchen Leuten gepennt. Heute übernachten wir grundsätzlich im Hotel, saufen uns vor einem Auftritt nicht den Verstand weg und bekommen korrekte Gagen.

AFL: Wie haben sich denn Razzia Konzerte verändert? Sind eure Zuschauer mit euch älter geworden oder gibt es auch viele jüngere im Publikum?

PS: Beides. Im Publikum findest du Leute, die uns noch von 1982 kennen. Die kommen dann teilweise mit ihren Kindern zum Auftritt. Es sind aber auch jüngere Leute im Publikum, die teilweise nur die letzten Platten wie die „Relativ Sicher am Strand“ oder die „Augenzeugenberichte“ kennen. Ist immer unterschiedlich.

AFL: Geht ihr selbst noch viel auf Konzerte? Wen habt ihr euch zuletzt Live angeschaut?

PS: Ich gehe schon lange nicht mehr auf Konzerte. Ich schau mir ab und zu Bands auf unseren eigenen Konzerten an. Das reicht mir persönlich vollkommen aus. Das letzte Mal habe ich die Skeptiker beim „Punk im Pott“ in Oberhausen im Dezember 2018 gesehen.

AS: Ich weiß, dass die anderen privat Konzerte besuchen, welche aber nicht.

AFL: Wie würdet ihr die Band Razzia der 80er Jahre in drei Worten beschreiben?

PS: Spaß wird ernst.

AS: Zwischen den Stühlen.

AFL: Und Razzia heute in drei Worten?

PS: Hola die Waldfee

AS: Zwischen den Stühlen.

AFL: Wenn ihr die Chance hättet die Zeit zurückzudrehen, was würdet ihr in Bezug auf Razzia anders machen? Bereut ihr irgendwas was ihr gemacht oder auch nicht gemacht habt?

PS: Wir hätten, nach dem Austritt von drei Bandmitgliedern in relativ kurzer Zeit, mit RAZZIA 1993 eine unbefristete Pause machen sollen. Stattdessen haben wir die Band aufgelöst und paar Wochen danach mit der sogenannten „B-Besetzung“ weitergemacht. Das hätten wir uns auch schenken können. Besser wäre es gewesen, dem Kind einen neuen Namen zu geben.

AFL: Wie hat euch eigentlich damals die Cover Version von Olli Schulz zu Kaiserwetter gefallen?

AS: Mir gefällt die Cover-Version von „Kaiserwetter“ gut. Auch das Video dazu finde ich klasse.

Razzia

AFL: Wohnt Ihr noch in Hamburg oder hat es euch woanders hin verschlagen?

AS: Rajas wohnt mittlerweile in Quickborn, Schleswig-Holstein, der Rest der Band in Hamburg.

 

 

AFL: Noch drei Fragen, die sich bei einer Hamburger Band einfach aufdrängen:
Alster oder Elbe?

PS: Beides

AS: Die Alster ist mein Hausgewässer. Ich liebe sie in ihrem ganzen Lauf, mit allen Nebengewässern, Einflüssen, Aufstauungen und Kanälen.

AFL: Holsten oder Astra?

PS: Weder mit noch ohne Alkohol….

AS: Keines von beiden. Industriebiere: Jever, handgemachte Biere: RAZZIA Dunkles Lager, der Norderstedter Brauerei HOPFENLIEBE.

AFL: St. Pauli oder HSV?

PS: HSV

AS: Weder noch. Holstein Kiel

AFL: Vielen Dank das ihr euch die Zeit für das Interview genommen habt. Alles Gute für die Zukunft und viel Erfolg mit Am Rande von Berlin.

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– Playlist: Happy Release Day
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Sven
Moin! Ich bin Sven aus der Nähe von Hamburg, 72er Jahrgang und seit über 20 Jahren glücklich verheiratet. Ich bin seit Sommer 2018 bei AWAY FROM LIFE und mache hauptsächlich Konzertfotos, Reviews und Interviews. Wenn ich nicht meinem „normalen“ Job nachgehe oder für AWAY FROM LIFE schreibe, könnt ihr mich entweder im Stadion beim FC. St. Pauli, auf Konzerten, beim Fotografieren oder beim Sport treffen. Bei letzterem schlägt mein Herz für‘s Boxen und Kraftsport, mittlerweile laufe ich aber auch einige Kilometer in der Woche. Ich liebe NYHC, bin aber auch für viele andere Genre offen, die zu unserer Szene gehören oder zumindest daran angrenzen. Meine All-Time Lieblingsbands sind Sick Of It All, Misfits, Ramones, Agnostic Front, und Slipknot. Hardcore lives!

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