Halloween steht unmittelbar bevor und in der Punk-Rockszene verbreiten sich um diese Jahreszeit normalerweise Konzerte und Lineups aus dem Horrorpunk. Das Genre kennen die meisten Punk-Rocker, Hardcore Kids und Metalheads natürlich durch Veteranen wie die Misfits, die geschminkte, schwarz gekleidete Band, die sich 1977 in New Jersey formiert hat und auf der Bühne eher wie Goth-Rocker als nach Punks aussahen.

An der Szene schätze ich, dass die Leute sie mit Herzblut aktiv halten

Die klassischen Merkmale des Horrorpunk: Texte über Monster, Gewalt oder den Tod, häufig gespielt von etwas schwereren Gitarren, als man sie von Punk-Rock gewohnt ist und ebenso häufig begleitet von einer schaurig-schönen Optik.

Die schwarze Szene – eine kreative Community

Für Viele geht es aber um mehr als eine Musikrichtung. Es stellt sich heraus, dass sich um dieses Genre nicht nur eine treue, international vernetzte Szene gebildet hat, sondern auch ein breites Spektrum an Bands, Filmemachern und Künstlern diesen schrägen Ableger des Punk ständig neu definiert. Und wir treffen sie überall: Ob sie sich beim Wave Gothic Treffen unter die Goths und Metaller mischen oder ob wir sie mit ihren schwarzen Jeanswesten voller Fledermauspatches auf den Punkkonzerten im Pogo antreffen.

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Die Szene besteht aus verschiedenen Individuen mit der gleichen Liebe zum Horror und zur Musik […]

Doch was macht eigentlich die Faszination an Schock-Rock und Gruselpunk aus? Und wer hört das eigentlich? Der wohl berühmteste deutsche Vertreter des Genres, die Kölner Band The Other, ist im Jahr 2020 passenderweise auf Platz 66 der Deutschen Albumcharts eingestiegen. Etwas, dass man sich außerhalb der goldenen Jahre der Misfits wohl nicht unbedingt gedacht hätte. Die Szene scheint stärker zu sein als gedacht – abgesehen davon, dass sich Horrorpunks durch ihre Verrücktheit deutlich von der Masse abzuheben wissen.

The Other (2017)
The Other (2017)

„An der Szene schätze ich, dass die Leute sie mit Herzblut aktiv halten“, sagt The Other-Sänger Thorsten Willms alias Rod Usher.

„Als Band erfahren wir eine große Unterstützung und auch viele Freundschaften haben sich daraus ergeben. Und genau dieses Gefühl, eine Art Club der „anderen“ zu sein, ist wiederum für Fans verwandter Musikrichtungen wie Gothic oder Metal ansprechend“.

Wie bei den meisten Subkulturen geht es in erster Linie darum, aus dem Gefühl anders zu sein, Konventionen zu brechen, eine Gemeinschaft mit Gleichgesinnten zu entwickeln. Das erzählt auch Richard Maier alias Dead Richy Gein, Sänger und ehemals Schlagzeuger der österreichischen Band The Bloodsucking Zombies From Outter Space: „Die Szene besteht aus verschiedenen Individuen mit der gleichen Liebe zum Horror und zur Musik. Es ist eine kleine Szene, aber so wie ich sie sehe, ist sie sehr aufgeschlossen – eine Familie von Freaks!“

Böse Themen, gute Absichten

Es gibt wenig Konformität und umso mehr Kreativität

Bei Dead Richys Band zeigt sich deutlich die Theatralik des Genres: Grabsteine und gruselige Puppen gehören ebenso zur Bühnenshow wie geschminkte Gesichter und Zombieoutfits. Die Texte erzählen von abgeschnittenen Köpfen, von radioaktiver Apokalypse. Schon die Misfits sangen mit ihrem ersten und aktuellem Sänger Glenn Danzig Texte wie „I Want Your Skull“ – dabei werden mögliche Tabuthemen aufgegriffen und mit ihnen wie bei gruseligen Büchern oder Filmen gespielt.

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„Vieles ist metaphorisch zu sehen, andere Texte sind einfach nur fiktiv und machen Spaß“, erklärt Celina Baluch, Sängerin der Bloodstrings, die früher ähnliche Themen bedient haben und gerade in ihrer Anfangszeit von der engen Vernetzung der Bands im Horrorbereich profitieren konnten. Einen Code für Texte und Outfits gibt es trotzdem nicht: „Bands wie A.F.I. werden auch von den meisten Horrorpunks gehört und dort geht es nicht um Zombies und Monster, sondern der Sound ist einfach düster und emotional. Oder Nekromantix, die zwar öfter Horrorthemen bedienen, aber auf der Bühne bis auf den sargförmigen Bass normale Klamotten tragen“.

Das bekannte Logo der Misfits
Das bekannte Logo der Misfits

Aufgeschlossenheit gilt bei den Horrorpunks aus Sicht der Künstler sowohl musikalisch als auch international. „Es gibt wenig Konformität und umso mehr Kreativität“, so Rod Usher, der mit Fiend Force auch das erste Horrorpunklabel Deutschlands gründete. Horrorpunk wird durchzogen von Einflüssen des klassischen Punk-Rock (modern und oldschool), von Deathrock über Metal bis hin zu Experimentellem. Und vor allem auf den sozialen Medien wird kleinen Bands stets eine Plattform geboten. „Für mich ist Horrorpunk die Kombination aus den Dingen, die Menschen zusammen bringen: In meinem Fall Rockmusik und krasse Horrorfilme“, erklärt Nicola Christoph alias Nicola Necrola, seines Zeichens Bassist der noch jungen deutschen Band Mutant Reavers.

Seine Band geht soundtechnisch etwas andere Wege als die großen Idole. Trotzdem scheinen die „kleinen“ immer gut angenommen zu werden. „Ich hoffe mehr Band werden aus dem Schatten der Misfits treten und ihr eigenes Ding machen“, ergänzt Dead Richy.

„Sie sehen schaurig aus, doch es handelt sich bei Horrorpunks um die freundlichsten und höflichsten Menschen“, sagt Johan Hansson, Sänger der schwedischen Band Left Hand Black. Er gehört in seiner Heimat mit verschiedenen Bandprojekten zu den alten Hasen im Horrorpunk und ihn lässt die Faszination über Bands wie die Misfits oder Astro Zombies nicht los; gleichzeitig hat er Hoffnung an die junge Generation: „Es gibt nicht so viel Rivalität wie zum Beispiel im Metal. Jeder unterstützt den anderen.“

Weltweit mehr als nur Musik

Bloodsucking Zombies from Outer Space (Pressebild)
Bloodsucking Zombies from Outer Space (Pressebild)

Horrorpunks verstehen sich im Musikgeschäft, aber auch in anderen Bereichen auf den D.I.Y. Spirit. In Facebook-Gruppen wird sich vernetzt, um gemeinsam auf Tour zu gehen. Fans werden zu kleinen Plattenlabels und stellen Tonträger wie Kassetten her, von zahlreichen Bands gibt es sogar Fanfiction. Das reicht vom hauseigenen Comic der Mutant Reavers zum Hörspiel von The Other. „Viele Mitglieder der Szene sind selbst sehr kreativ, schneidern Klamotten, zeichnen, spielen in Bands, veranstalten Partys, drehen sogar Videos und Filme“, so Rod Usher. Die Verbindung von Horrorfilmen und Büchern zur Musik ist ebenfalls unverkennbar. „I’m a horror movie maniac“ singen die Bloodsucking Zombies auf einem ihrer Songs. Diese haben in Österreich übrigens schon wiederholt den Amadeus Preis abgeräumt und sind auch hier in Deutschland auf Festivals wie dem WGT oder Wacken zuhause.

Blitzkid (Photo by Barb D-Man Photography, 2012)
Blitzkid (Photo by Barb D-Man Photography, 2012)

Natürlich spielt sich Horrorpunk nicht nur in Europa ab. Steve Matthews alias Argyle Goolsby ist ein Horrorpunkkünstler aus West Virginia, USA, der als Sänger und Bassist der amerikanischen Horrorpunkband Blitzkid bekannt war und sich später durch seine experimentelleren Soloprojekte durch die Clubs der Welt gespielt hat. „Ich kam mit Horrorsachen in Berührung, als ich etwa 13 Jahre alt war. Ich sah eine sehr schlechte Kopie von Evil Dead 2 auf VHS-Kassette, und das war eine wirklich bahnbrechende Erfahrung. Ich war absolut fasziniert, wie ausgeflippt der Film war.“, so Goolsby. Blitzkid, gegründet 1997, hatte damals noch keine Vorstellung einer Szene rund um das Genre, sondern wollte die Faszination für Gruselfilme mit den Singalongs und der Energie von Punk-Rock kombinieren.

Die Misfits – die großen Idole und Anstoß zur politischen Debatte

Politik spielt keine riesige Rolle, aber dann eben doch, wenn jemand wie Michale Graves sich als rechtsextremer Vollidiot outet.

In einem Punkt sind sich die Künstler einig: Angefangen hat es mit den Misfits. Der Look, der Sound waren einzigartig. „Sie waren wie die KISS des Punk-Rock“, sagt Rod Usher, „Die Misfits haben mich damals einfach umgehauen“, erinnert sich Johan Hansson. Doch in den letzten Jahren, jüngst noch 2020, hat sich die sonst standfeste Familie Horrorpunk etwas spalten lassen. Der Sänger in zweiter Generation der Misfits, Michael Emanuel alias Michale Graves, outet sich auf den sozialen Kanälen als sogenannter „Proud Boy“, eine amerikanische rechtsextreme und selbsternannte chauvinistische Organisation. Zwar ist Graves schon früher aufgefallen als ein Punk-Rocker, der offen zugibt, politisch konservativ zu sein, doch seine jüngsten Posts haben die Debatte um Politik im (Horror-)Punk neu aufflammen lassen. „Politik spielt keine riesige Rolle, aber dann eben doch, wenn jemand wie Michale Graves sich als rechtsextremer Vollidiot outet. Dann wird klar, dass das Punk in Horrorpunk eben nicht nur ein Wort ist“, äußert sich Rod Usher klar. Auch Dead Richy ist sich sicher: „Das Wort punk ist immer noch in Horrorpunk, also sollte es klar sein, dass Rassismus, Faschismus, Sexismus, Homophobie etc. keinen Platz in dieser Szene haben sollten.“

Dass Politik ein Streitthema in der Musik ist, zeigt sich in aktuellen Debatten innerhalb der Punk-Rockszene genauso wie im Metal. Der internationale Gedanke, der den Horrorpunks zugrunde liegt und dass sich jeder individuell ausdrücken darf, wiegt trotzdem schwerer und so liest man mehr über Enttäuschung und Frust über die rechtspolitische Haltung von Graves als über Zuspruch.

Was bleibt, ist eine starke Community aus Horrorfreaks, die wahrscheinlich nichts lieber täten als an Halloween auf düstere Punkkonzerte zu gehen. Und dabei jeden willkommen zu heißen, denn so düster und abgefahren die Themen der Songs oft sind, so einladend und offenherzig sind die Menschen, die sich mit Horrorpunk identifizieren. „Man hat das Gefühl, dass Menschen aus anderen Subkulturen kommen, weil sie hier einen kompletten Lifestyle finden, primär die Musik, aber eben auch Literatur, Filme, Kleidung, Deko, Halloween, Comics, Tattoos, Partys und vieles mehr. Neben der Goth-Szene haben wir vielleicht auch deswegen den höchsten Anteil an weiblichem Publikum.“, sagt Rod Usher. „Irgendwie sind wir alle schon ziemliche Nerds. Mit verdammt gutem Stil.“

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Dieser Beitrag wurde von Gastautor Nick verfasst. Kontaktiert uns gerne unter info@awayfromlife.com, falls ihr daran interessiert seid Beiträge als Gastautor bei uns zu veröffentlichen.

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