Fahnenflucht (Credit © Tim Mithöfer, 2024)
Fahnenflucht (Credit © Tim Mithöfer, 2024)

Fahnenflucht ist wohl nicht nur für mich ein ständiger und mehr als zuverlässiger musikalischer Begleiter. Seit ich sie Mitte der 90er Jahre das erste Mal hörte, waren sie eigentlich immer präsent und musikalisch auch genau auf meiner Wellenlänge.
Das beste dabei ist, dass kein Ende dieser Begleitung abzusehen ist, was sie mit ihrem neuesten Werk Molotov Zitrone auch wieder beweisen.

Wir nahmen das neue Album zum Anlass ihnen mal wieder ein paar Fragen zu stellen.

Punk ist halt die Musik, die wir selber am liebsten machen. Aber deswegen müssen wir die ja nicht rund um die Uhr hören.

Die erste Frage liegt wohl auf der Hand. Was hat es mit dem Titel „Molotov Zitrone“ eurer neuen Scheibe auf sich?

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„Molotov Zitrone“ steht für das, was du draus machst… quasi die sinnbildliche Belohnung für deinen persönlichen Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung, Rechtsruck und Kapitalismus, oder mit was du gerade am meisten zu kämpfen hast.

Ich schätze bei euch vor allem eure Weiterentwicklung. Kein Album der vergangenen sieben ist mit den Vorgängern wirklich vergleichbar. Was glaubt ihr, ist der Grund, dass ihr nie wirklich still steht?
Bei genug anderen Bands ist es ja anders und man weiß vor dem Release eines neuen Albums bereits, was man bekommen wird – was ich allerdings bei einigen Bands auch wirklich zu schätzen weiß.

Still stehen wäre langweilig für uns. Sich immer selbst zu reproduzieren hätte auch was von Nostalgie. Im Endeffekt machen wir aber die Musik, die wir selbst am besten finden… und wenn sich da Elemente wiederholen, weil wir die gut finden, ist das auch ok.

Wie seht ihr die Entwicklung in der Szene? Ich finde gerade das politische Engagement hat sich geändert. So habe ich manchmal den Eindruck, dass ein Teil zwar weiterhin politisch aktiv ist, ein anderer aber sich dem Aktivismus eher abgekehrt hat und außer ein kurzes „Nazis Raus“ auf Konzerten nicht mehr viel rumkommt.

Eine Szene pauschal zusammenzufassen ist eigentlich gar nicht möglich. Man kriegt ja immer nur sein eigenes Umfeld mit. Einige Leute ziehen sich irgendwann ins Private zurück, das stimmt… aber dafür kommen an anderer Stelle auch wieder jüngere Engagierte dazu. Für eine gesunde Szene ist es auf jeden Fall wichtig, den Anschluss nicht zu verlieren und offen zu bleiben für neue Ideen.

Euer Song „Im Zweifel für den Zweifel“ setzt sich mit Verschwörungstheorien und deren Verfasser*innen auseinander. Gerade in den vergangenen Jahren musste man immer mehr Bullshit hören oder lesen. So hatte man auch im Familien- und Freundeskreis manchmal Personen abdriften sehen, egal ob nach rechts oder in Richtung von irgendwelchen Fantastereien. Ich persönlich war es irgendwann leid mit diesen Menschen zu diskutieren. Wie geht ihr damit um? Diskutiert ihr noch oder lasst ihr die Leute mittlerweile einfach reden und hört nicht mehr hin?

Man könnte da plakativ sagen, Widerstand beginnt im Privaten… da, wo du nicht anonym bist und schwer wegkommst, ist sowas unter Umständen auch viel unangenehmer und schwieriger auszutragen als auf einer Demo mit 1000 Leuten. Diskussionen zu suchen und den Konflikt nicht unter den Teppich zu kehren ist da die einzige Option auf Dauer, wenn man sowas nicht ständig mit sich rumtragen möchte. Einfach ist das natürlich für Niemand, aber leider notwendig, privat wie politisch.

Am meisten überrascht hat mich der Titel „Mit dir okay“ – ein Liebeslied von Fahnenflucht? Das ist wirklich mal was Neues. Musstet ihr lange überlegen, ob ihr ihn tatsächlich aufs Album packt oder war es relativ schnell klar, dass er mit drauf muss?

Das gab schon einige Diskussionen, klar. Ist ja jetzt kein typisches Thema für uns. Am Ende ist es aber ein authentischer Track geworden, der auch gut aufs Album passt, wie wir finden. Vielleicht findet sich ja die eine oder der andere darin wieder.

Die Songs sind, wie von euch auch gewohnt, besonders an der politischen Weltenlage orientiert. Ebenso wie diese Lage hat sich bestimmt auch euer Songwritingprozess verändert. Wie würdet ihr diese Veränderung über die letzten 25 Jahre beschreiben?

Das ist bei jeder Konstellation, jedem Album und jedem Song irgendwie anders. Wir verfolgen da zum Glück keine Patentrezepte, die in der Bandgeschichte weitergegeben werden und einzuhalten sind, sondern sammeln über einen längeren Zeitraum alles an Ideen und setzen um, was wir davon am vielversprechendsten empfinden. Und dann wird im Studio nochmal ungefähr die Hälfte ausgesiebt.

Wo wir schon beim Blick zurück sind, auch noch eine weitere Frage dazu. Wenn ihr zurückblickt, gibt es da einen Moment oder eine Erinnerung, die euch in Bezug auf Fahnenflucht besonders in Erinnerung geblieben ist? So eine Erinnerung, die man unter Freunden gerne einmal öfter erzählt.

Es gibt bestimmt viele erinnungswürdige Momente an unzählige gemeinsame Konzerte, Festivals und gemeinsame Aktionen. Da will man gar keine Hierarchie einführen und bestimmte davon hervorheben. Der Blick ist bei uns aber prinzipiell eher nach vorne gerichtet. Nostalgie hat immer so nen konservativen Beigeschmack.

Natürlich geht ihr ja auch auf eine Release-Tour. Wie schafft ihr das eigentlich mit eurem Berufsleben zu vereinbaren? Nehmt ihr euch da Urlaub oder wie läuft das?

Das ist innerhalb der Band sehr unterschiedlich, je nach Beruf und privaten Verpflichtungen… Manche von uns müssen Urlaub nehmen, andere müssen die Arbeitszeit wieder reinholen. Wir planen die Touren immer lange im Voraus und versuchen, soviele Konzerte wie möglich zu spielen. Zum Glück haben wir mittlerweile einen kleinen Pool an verlässlichen Ersatzspielern im Team, die uns bei terminlichen Engpässen aushelfen.

Irgendwo ist man in seiner Musik ja immer von anderen Bands beeinflusst. Das sind ja im Punk häufig die üblichen Verdächtigen. Gibt es bei euch Ausreißer, die euch beeinflusst haben und nicht wirklich was mit Punk zu tun haben und gibt es vielleicht auch jüngere Bands, die euch aktuell beeinflussen?

Ich glaube, keiner von uns hat sich da jemals auf ein einzelnes Genre beschränkt… die Einflüsse und Geschmäcker sind auch innerhalb der Band sehr heterogen. Das geht von Hardcore Punk, mexikanischem Ska über Death Metal bis hin zu Folk Punk, Art-Rock oder Techno, und bestimmt noch einiges mehr. Punk ist halt die Musik, die wir selber am liebsten machen. Aber deswegen müssen wir die ja nicht rund um die Uhr hören.

Tauscht ihr euch denn auch mit anderen befreundeten Bands aus? Also schickt ihr ihnen vorab Songs und fragt, was sie davon halten oder ähnliches?

Während dem Songwriting Prozess zeigen wir immer mal wieder Leuten aus unserem Umfeld einzelne Ideen und Entwürfe. Man kann sich da über die Zeit auch mal in Details verbeißen und den Kontext aus den Augen verlieren. Da kann es sehr hilfreich sein, wenn jemand, dessen Meinung man schätzt, da mit frischen Ohren drüberhört und Feedback gibt. Kann man nur nicht zu oft machen logischerweise, sonst funktioniert das nicht mehr mit der Unvoreingenommenheit.

Gibt es denn Bands, mit denen ihr besonders gern zusammenarbeitet oder tourt und wenn ja, warum gerade diese Band(s)?

Da gibt’s viele, zum Beispiel Alarmsignal, Pestpocken, Rantanplan, Kotzreiz (hoffentlich nach der Pause wieder), Graupause, Popperklopper, TCHIK, Rawside, Fucking Angry, VSK, Dritte Wahl, … und auch noch viele mehr, die mir gerade nicht spontan eingefallen sind. Es gibt umgekehrt eher selten den Fall, das wir nicht gerne mit einer Band touren… da hätte ja auch keiner was von im Endeffekt.

Habt ihr innerhalb des Songwriting-Prozesses auch mal mit kreativen Blockaden zu kämpfen? Was macht ihr, wenn bei euch die Inspiration ausbleibt?

Na sicher. Das gehört zum Songwriting teilweise einfach dazu. Manchmal verliert man sich in Kleinigkeiten und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. In seltenen Fällen flutscht es einfach und ein Track ist inklusive Text einfach da. Aber ich glaube, dem geht halt ein unterbewusster persönlicher Prozess voraus, den man halt dann im richtigen Moment festhält. Vielleicht muss man bestimmte Dinge auch zu Ende durchleben, bevor man wirklich darüber schreiben kann. Viele Ideen und Entwürfe werden wohl niemals das Tageslicht sehen, sowas gibt’s auch…

Mit 13 Tracks habt ihr das Album wieder ganz schön vollgepackt und fast alle derzeit relevanten Themen sind zur Sprache gekommen. Aber welcher Track gefällt euch persönlich denn am besten und darf auf keiner zukünftigen Fahnenflucht-Show fehlen?

Das ist ein bisschen so zu fragen, welches Kind einem denn das liebste ist… das ist bei jedem anders und verändert sich auch erfahrungsgemäß mit der Zeit. Außerdem gibt es manche Tracks, die einfach besser auf Platte funktionieren als live und umgekehrt. Erfahrungsgemäß gibt es da immer auch Überraschungen. Wir werden auf jeden Fall versuchen, möglichst viele „Molotov Zitronen“ live zu spielen.

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