Es ist ja hinlänglich bekannt, dass es sich lohnt, regelmäßig über den eigenen Tellerrand hinaus zu gucken. Und auch wenn das Reeperbahn Festival in Hamburg nicht zwingend als Punkrock-Hotspot auf der Festivalkarte vermerkt ist, lohnt sich immer wieder ein Blick in die Hansestadt und das große Musikbranchen-Treffen im September. Ein paar Perlen findet man unter den hunderten Acts, die in so gut wie jeder Hamburger Konzertlocation über vier Tage auftreten, nämlich doch. Ich dachte mir also, dass es höchste Zeit für eine Premiere auf dem Reeperbahn Festival wird und ich, aufgrund von Termingründen leider nur am Donnerstag und Freitag, einfach mal auschecke, was es so an Geheimtipps in der Punkrockwelt gibt. Im Vergleich zu anderen Festivals liegt der Fokus auf der Reeperbahn nämlich nicht auf etablierten Bands, sondern auf solchen, die von Labels und anderen Musikinstitutionen als große Zukunftshoffnungen gehandelt werden.

Donnerstags angekommen musste ich mich erstmal orientieren. Zwar ist einem die Reeperbahn ja natürlich durchaus geläufig, das ganze drumherum des Festivals ist jedoch extrem ausfallend. Auf dem Heiligengeistfeld, wo man sonst die Hochkultur des Hamburger Doms erlebt, war ein großes Open Air-Gelände mit zahlreichen Bühnen, Zelten und interaktiven Austellungsbuden aufgebaut. Da es am frühen Abend hier musikalisch jedoch noch eher ruhig zuging, zog es mich zu einem Spaziergang über die Reeperbahn, wobei mir gleich ein Sankt Pauli-Fanshop ins Auge fiel. Hier spielte mitten im Laden eine junge Band, die einen sehr mitreißenden Mix aus Punkrock, Indie und auch ein bisschen Hip-Hop zum besten gab und dabei von zahlreichen Schaulustigen supported wurde. Neben den ganzen Clubs und Hallen, die man nur mit einem offiziellen Festivalbändchen betreten konnte, war hier der Eintritt für alle frei und man konnte sich von einer extrem talentierten Newcomerband prächtig unterhalten lassen. Leider stand diese Show jedoch nicht im offiziellen Programm. Da es auch kein Backdrop-Banner mit einem Bandnamen gab, blieb mir die Identität der Truppe bis heute verwehrt. Sei’s drum, ein cooler Auftakt war es!

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Insgesamt ist es sowieso so, dass das Reeperbahn Festival von der Atmosphäre lebt. Überall hört man Musik und die Meile ist nochmal lebendiger als sonst. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen sich einfach treiben lassen und schauen, was man so spontan mitnehmen kann – ob mit Ticket oder ohne. Für mich stand am Abend die Rückkehr zum Festivalground auf dem Programm, da die Festival-App mir hier eine Elektropunk-Band ausspuckte.
Vorher wurde ich jedoch spontan Zeuge von Paulinko, einer jungen Band, die mit klarer politischer Aussage auf einer erhöhten Bühne spielte und von dort mit Sicherheit zahlreiche neue Fans gewonnen hat. Die drei Musikerinnen haben eine hoch energetische Show abgeliefert, bei der jeder Song ein Hit war. Und hier ist er wieder: der Moment, in dem man einen Geheimtipp ohne Vorplanung entdeckt, bei dem es einen nicht wundern würde, wenn er in ein paar Jahren richtig erfolgreich ist. Absolute Empfehlung!

Paulinko

Der eigentliche Elektro-Punk-Act Nein Danke! war dann nicht so meins. Als Fan von Bands wie Egotronic sind die Erwartungen an das Genre natürlich immer hoch, so ganz hat mich der Haudrauf-Stil von Nein Danke! jedoch nicht gekriegt. Vielleicht war mir die sehr direkte, irgendwie aber auch schwer zu beschreibende Musik, aber auch zu künstlerisch und ich habe etwas nicht verstanden. Egal, insgesamt war es einfach ein netter Abend, an dem ich gelernt habe, worum es vielen beim Reeperbahn Festival wirklich geht: einfach eine gute Zeit haben und schauen, wen man so kennenlernt. Musikalisch ist nämlich wirklich für jeden was dabei.

Nein Danke!

Freitags startete der Tag dann gemütlich. Die Punkrock-Highlights standen erst Abends im Molotow an, weshalb es nach einem schönen Mittagsspaziergang durch die Sonne Hamburgs, einem ja tatsächlich eher seltenem Phänomen, Zeit für etwas Bildung wurde. Zusammen mit der Re:publica hatte das Reeperbahn Festival einige spannende Panel Talks rund um die Themen Musik, Technologie und Gesellschaft organisiert. Besonders spannend war die Diskussion zum Thema rechtsextreme Musik und dazugehörige virale Trends auf Social Media. Moderiert von Autorin Rike van Klee erklärten Thorsten Hinrichs, Musikwissenschaftler der Uni Mainz, Charlotte Lohmann von der Amadeu Antonio Stiftung und Wyn Brodersen von Das NETTZ, wie Rechtsrock-Bands Streaming- und Social Media-Plattformen nicht nur nutzen, sondern auch von ihnen profitieren können. Dazu gab es Praxistipps wie man dem digitalen rechtsextremen Spuk Einhalt gebieten könnte. Es lohnt sich definitiv, die Veröffentlichungen aller Beteiligten der Diskussion zu recherchieren, um diese doch sehr komplexe und wichtige Thematik besser zu verstehen.

Insgesamt wurde auch hier klar, dass das Reeperbahn Festival weitaus mehr ist, als ein Treffen von ein paar Musikindustrie-Beteiligten, die nur zum Feiern hier sind. Der inhaltliche Austausch über verschiedenste Themen sorgt dafür, dass man den gesamten Komplex „Musikbranche“ noch besser versteht – egal ob man nun ein Big Player ist oder von einem kleinen Punkrock-Magazin kommt. Ähnlich spannend war übrigens auch eine Diskussion über steigende Ticketpreise und die so genannte Superstar Economy, bei der auch ein österreichischer Vertreter aus dem EU Parlament am Tisch saß. Die Analyse, dass sich die Musikindustrie zunehmend zu einem Bereich entwickelt, in dem immer weniger Platz für kleine Newcomer ist, da die ganz großen Artists die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher ausreizen, war durchaus nachvollziehbar und spannend.

Nachdem der intellektuelle Teil des Tages erledigt war, wurde es aber wieder Zeit für Musik. Das Highlight meiner Reise war nämlich der Epitaph-/Sea Watch-Abend im legendären Molotow. Hier wurden drei junge, aktuelle Acts aus dem Epitaph-Universum, mitsamt seiner Sublabels Hellcat und Anti, vorgestellt, während es am Merch-Stand seltene Testpressungen von legendären Epitaph-Alben sowie u.a. von Rancid signierte Skateboard-Decks gab, deren Einnahmen zu 100% an die Seenotrettung gespendet wurden.
Den Anfang machte Sam Akpro, ein junger Brite, der einen extrem hypnotisierenden Mix aus Alternative, Rap und eben auch Punkrock servierte, der einen die volle Setzeit komplett mitriss. Nach einigen Singles in den letzten Jahren warten viele auf das kommende Album, das über Anti-Records erscheinen soll. Sam Akpro hier bereits jetzt in so kleiner Atmosphäre in einem rappelvollen Molotow gesehen zu haben, war die Reise fast schon alleine wert.

Sam Akpro

Da kurz danach jedoch Rat Boy auf die Bühne kam, wurde der Abend sogar noch besser. Auch hier handelt es sich um eine junge britische Band, musikalisch dachte ich jedoch sofort an die Reinkarnation der frühen Rancid. Richtig fresher Ska-Punk mit coolen Melodien und einem mega charismatischen Frontmann haben für mein musikalisches Highlight des Wochenendes gesorgt. Die Show war jedoch noch viel mehr als eine junge Rancid-Version. Nach ein paar Songs kam der eigene Stil von Rat Boy richtig gut zum Vorschein und es entwickelte sich ein Mix aus englischem Tim Armstrong und The Clash – zwei ganz hervorragende Sachen also. Und kein Wunder, dass das kommende Album auf Armstrongs Hellcat-Records erscheint. Rat Boy sollte man unbedingt im Auge behalten und sich ganz groß auf den Zettel der Punkrock-Stars von morgen schreiben. Diese Band hat es richtig drauf!

Rat Boy
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Zum Abschluss kamen dann noch Late Night Drive Home auf die Bühne. In den USA ist die Band bereits jetzt richtig gehyped und das obwohl das zweite Album noch gar nicht erschienen ist. Musikalisch gab es hier eher klassischen Indie zu hören, das ganze kam jedoch mit einem gewissen düsteren Touch daher, weshalb die Band durchaus zu Epitaph passt. Auch hier war die Show extrem mitreißend und der Club richtig gut gefüllt. Epitaph hat also drei Bands für das Reeperbahn Festival ausgewählt, bei denen es mich sehr wundern würde, wenn man in nächster Zeit nichts von ihnen hört. Die Zukunft des Labels, und der alternativen Musik, scheint also gesichert!

Late Night Drive Home

Nach diesen Shows war es das dann auch fürs erste. Nach einem langen Tag ging es zurück ins Hotel mit dem Gedanken, das Festival das nächste Mal doch für die volle Laufzeit mitzunehmen. Insgesamt gibt es nämlich so viel zu entdecken, dass zwei Tage definitiv nicht reichen. Egal, ob man nur neue, noch eher unbekannte, Bands entdecken oder sich musikalisch und gesellschaftlich weiterbilden will: ein Besuch des Reeperbahn Festivals lohnt sich alle mal. Bis hoffentlich nächstes Jahr! Und hoffentlich auch nochmal mit einem Epitaph-Abend!

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– Playlist: Happy Release Day

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