Für mich persönlich ist es ein absoluter Meilenstein, Roger Miret von Agnostic Front interviewen zu dürfen. Roger ist zweifelsohne einer der Pioniere des New York Hardcore und eine absolute Persönlichkeit der weltweiten Hardcore-Community. Schon als junger Teenager besuchte ich Agnostic Front Shows im legendären CBGB und auch noch Jahrzehnte später verfolge ich die Band live.

So sehr ich mich auf das Interview freute, desto klarer wurde mir, dass dies kein einfaches werden würde.

So wurden in den vergangenen Jahrzehnten bereits unzählige Interviews mit den Frontmann geführt, bei dem eigentlich sämtliche Fragen geklärt sein sollten. Die letzten offenen Fragen zum Leben von Herr Miret wurden dann in seiner kürzlich erschienenen Autobiografie United & Strong New York Hardcore – Mein Leben mit Agnostic Front geklärt. Doch wirklich alle?

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Ich hatte am 11. September 2018 die Möglichkeit Roger anzurufen, um ihn ein paar Fragen zu stellen, die immer noch offen sind! Hier der erste Teil des Interviews aus dem über einstündigen Gespräch mit Roger. Der zweite Teil des Interviews kann hier nachgelesen werden:

TEIL 2: INTERVIEW MIT ROGER MIRET

Ich behandel Menschen mit Respekt und fordere Gleichen auch ein.

Teil 1: Roger Miret im Interview zu seiner Autobiografie United & Strong

Agnostic Front (Photo by Todd Huber)

AFL: Hey Roger, vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Während eurer letzten Europa-Tour hattest du auf dem Bay Festival erwähnt, dass du dich neben einer OP am Arm, auch einer Herz-Operation unterziehen musstest. Erste und wichtigste Frage: Wie steht es um deine Gesundheit?

Roger Miret: Oh ja stimmt. Die Sache ist, dass mir gesagt wurde, dass ich nicht öffentlich darüber sprechen soll.

AFL: Ok, kein Problem.

RM: Das ist nur deshalb so, dass ich in dem Film „The Godfathers of Hardcore“, den noch nicht viele gesehen haben, darüber mehr rede. Ich habe dem Produzenten versprochen, dass ich vorher nicht darüber sprechen werde.

AFL: Ah verstehe – das ist natürlich verständlich! Dein Leben und deine Musik-Karriere ist ausgiebig beschrieben. Es gibt auch unzählige Interviews mit dir im Internet, die jede/r immer und überall nachlesen kann. In deiner kürzlich erschienenen Autobiografie „United & Strong New York Hardcore – Mein Leben mit Agnostic Front“, hast du uns deine sehr actionreiche Lebensgeschichte erzählt. Heutzutage kennt man dich in der Hardcore und Punk-Rock Community weltweit und du hast dich von berüchtigt zu berühmt entwickelt.

Konntest du von deinem Ruf inzwischen profitieren? Etwa dass du in Plattenläden Rabatt bekommst, was du laut deinem Buch noch nicht geschafft hast?

Roger Miret (Bild zur Verfügung gestellt von Gordeon Music)

RM: (lacht) Naja so schlimm wie im Buch ist es nicht. Aber ja, ich erwarte mir da nicht allzu viel. Ich bin froh, dass du das fragst.

Ich war gerade in einem Laden hier in Phoenix, der gehört einem netten Typen namens Mike und heißt East Side Records (45 W Southern Ave, Tempe, AZ 85282, USA). Wir gehen da rein und ich sehe unsere (Agnostic Front) Scheiben für 13$. Mike sieht mich und nur weil ich bin wer ich bin sagt er: „Gib mir einfach 10$.“ Ich sagte nur „Hör mal, es sind nur 13$, ich bin hier, um dich und deinen Laden zu unterstützen“. Darum geht’s mir, das ist meine Einstellung. Eine Hand wäscht hier die andere. Ich bin dankbar, dass Leute unsere Platten oder generell Hardcore/Punk-Platten holen und deswegen möchte ich nichts reduziert oder exklusiv bekommen.

Um ehrlich zu sein, bin ich heutzutage generell so, in allen Bereichen des Lebens. Leute haben mir schon Rabatte für alles Mögliche angeboten. Ich möchte aber lieber den regulären Preis zahlen, für deine Zeit, dein Merchandise oder sonst irgendetwas. Ich möchte mich nämlich nicht so fühlen, als würde ich dir etwas schulden. Gleichzeitig passe ich für dich auf, weißt du? So bin ich eben.

AFL: Das erinnert mich an etwas, das Vinnie Stigma gesagt hat: Support your local scene.

RM: Genau, so ist es. Ich möchte nichts geschenkt bekommen. Ich verstehe, dass Leute hart arbeiten. Ich habe das selber mein ganzes Leben gemacht, deswegen verstehe ich das.

Ich behandle Leute so, wie ich behandelt werden möchte.

AFL: Führt dein Name und Ruf zu Problemen in deinem Alltag? Kannst du die Straße entlang gehen und nicht von Fans belagert werden?

RM: Puh, ja das könnte ich. Das ist gleichzeitig wirklich lustig und interessant. Wie du weißt bin ich gerade in Arizona und alles ist hier ziemlich entspannt. Hier geht man nicht die Straße entlang (lacht), man fährt immer mit dem Auto. In New York ist man immer zu Fuß gelaufen, da drüben gehört das zur Lebensqualität dazu, aber du weißt das als gebürtiger New Yorker ja selbst.

Es ist witzig, weil ich mit meinem Schwager vor einiger Zeit zurück nach New York gegangen bin, um eine Show zu spielen und überall war entweder ein Fan oder jemand der die Band kannte – im Zug, auf der Straße kamen Leute und begrüßten mich. Das war ganz cool, es ist einfach so eine kleine Welt. Man bemerkt das vorher nicht, ich kenne das eher von Shows als spontan auf der Straße. Aber ja das passiert. Ich war zum Beispiel mit meiner Frau in den Flitterwochen auf der Insel Kos in Griechenland und Leute sind auf einmal zu mir gekommen. Das passiert auf der ganzen Welt. Ich werde aber nicht angepöbelt, das läuft respektvoll ab und das ist auch cool so.

Cover zur Verfügung gestellt von Gordeon Music.

AFL: Hattest du jemals Probleme mit Groupies, Hassbriefe erhalten oder so etwas in der Art?

RM: Hassbriefe auf jeden Fall. Schau, bis heute gibt es Leute, die mich oder die Band nicht mögen. Meinetwegen, ich konzentriere mich nicht auf diese Leute. Ich schaue auf die Leute, die Veränderung wollen, oder das Gleiche über das ich spreche.

Es gibt immer einen Hater da draußen. Jemanden, der dich nicht mag, oder wofür du stehst und das ist sicher, so war es von Anfang an. Lustigerweise hat das vor allem mit meinen eigenen Freunden angefangen, darüber rede ich auch in dem Buch. Ich konnte das nicht glauben, ich dachte nach der ersten Tour würden die Leute sagen „Wow, ihr habt es geschafft und seid toll, blabla“. Aber stattdessen gab es nur Neid. Das passiert und es gibt Leute die mich nicht mögen, aber darauf achte ich nicht.

Ich bleibe lieber auf der positiven Seite – ich passe auf und bin nicht dumm. Ich laufe nicht blind durch Lebens, habe damals meine Zeit im Knast abgesessen und bin ein vorsichtiger Mensch geworden. Ich weiß wie ich zugänglich sein kann. So wie ich bin, behandle ich Menschen mit Respekt und fordere ihn wieder ein. Wenn ich dich gut behandle, kannst du mich auch gut behandeln. Wenn du das nicht tust wars das, weißt du was ich meine? Ich behandle Leute so wie ich behandelt werden möchte. So bin ich. Anfangs gab es das ganze Sex, Drugs, and Rock’n’Roll-Ding, das gibt es jetzt nicht mehr. Die wilden Zeiten sind für mich vorbei.

Rückwirkend gibt es einige Sachen, die ich bedaure und für die ich mich entschuldige.

AFL: Hast du eigentlich negative Reaktionen auf das Buch er halten? Hat jemand beispielsweise versucht dich zu verklagen?

RM: (leichtes lachen) Nein, man. Natürlich war ich beunruhigt, dass jemand sowas tun könnte. Darüber habe ich mir schon während des Schreibens Gedanken gemacht. Das Buch hatte drei Editoren und einen Anwalt, die das rechtlich abgesichert haben. Ich musste sicher sein, dass ich mich nicht selbst oder andere belaste. Da musste schon einiges geändert werden. Aber nichts wildes.

Ich glaube nicht, das ich was bösartiges geschrieben habe, schon gar nicht absichtlich. So bin ich nicht. Ich sehe mich als eine höfliche Person, niemanden der einem Schaden will. Ich hoffe, das kommt im Buch auch rüber. Ich versuche nicht anzugeben, ein paar Sachen sind auch drin, damit es eine gute Geschichte wird. Da sind auch viele Sachen drin, die ich rückwirkend bedauere und für die ich mich entschuldige. Es ist, wie es ist.

Roger Miret – United & Strong: Mein Leben mit Agnostic Front!

AFL: Ich bin ein Fan und gehe seit 35 Jahren zu euren Shows. Vor fünf Jahren hab ich bei einer Show festgestellt, dass ich der älteste Typ im Publikum war. Heute ist das nicht mehr so. Habt ihr einen demografischen Wandel unter euren Fans bemerkt?

RM: Ja, schon, ein Großteil unseres Publikums sind Leute, die mit uns aufgewachsen sind und bei uns geblieben sind. Natürlich gibt es auch neue Leute und eine jüngere Generation. Wir heißen jeden willkommen. Es gibt Fans, die kommen mit ihren Kindern zu unseren Konzerten. Die werden zu Familientreffen. Wir sind ja auch älter geworden. Es sind über 35 Jahre vergangen seit wir United Blood veröffentlicht haben. Also ist anzunehmen, dass die Leute, die uns ein ganzes Leben begleitet haben, auch zu unseren Shows kommen. Es ist jetzt eine Familienangelegenheit und dafür bin ich auch dankbar.

Es ist wichtig, seine Wurzeln zu kennen und diese zu respektieren.

Roger und Agnostic Front in Bangkock (Photo by Jörg Baumgarten)

AFL: Wie du in deinem Epilog feststellst, wolltest du nicht dem alten Motto “Live fast – die young” folgen und bist nun too old to die young“. Findest du es schwer, mit 54 Jahren eine Verbindung zur Jugend herzustellen und hast du das Gefühl ihnen noch etwas vermitteln zu können?

RM: Ich fühle mich immer noch so, als könnte ich ihnen was vermitteln und ich finde es auch nicht schwer, eine Verbindung herzustellen. Ich glaube nicht, dass die Welt heute so viel anders ist als die Zeit im Buch (ca. 1981 bis 1983). Natürlich ist da eine andere Generation und es gibt dieses Generation Gap, insbesondere mit den ganzen elektrischen Geräten und so Zeugs.

Die Jugend heute hat ganz anderes Zeug als wir damals. Die ganzen Handys oder das Internet etc. Ich denke, sie sind ein bisschen verwöhnt. Wir hatten es da etwas schwerer. Aber gleichzeitig sind das ja auch tolle Sachen, um sich die Vergangenheit anzuschauen. Es ist wichtig, seine Wurzeln zu kennen und diese zu respektieren. Wenn ich mich mit etwas beschäftige, will ich auch alles darüber wissen. Du möchtest eine Verbindung haben, also ist das Internet eine coole Möglichkeit in Verbindung zu bleiben. Es ist, wie ich es auch im Buch schrieb: Es ist nicht mehr die Party, wie ich sie 1980/81 hatte. Aber ich bin immer noch willkommen und ich habe auch ein Haufen Zeug willkommen geheißen. Wir hatten immer schon großen Respekt vor der jüngeren Generation und neuen Bands. Wir haben immer neue Bands mit auf Tour genommen und haben sie auch immer supportet. Ich glaube, das merkt man und das kommt auch zurück.

AFL: Im Buch redest du auch darüber, wie dich das MAXIMUM ROCKNROLL-Magazin dich verarscht hat. Als Teil eines DIY-Magazins bin ich schockiert. Wenn ich so was geschrieben hätte, wäre ich in den 80ern bestimmt bei der nächsten Show verprügelt worden. Wie sind sie damit durchgekommen? Und gibt es da immer noch böses Blut?

RM: Ich glaube nicht, dass es da noch böses Blut gibt. Das witzigste ist ja, das ein guter Freund von mir, Bruce, für das Maximumrocknroll schrieb. Er war auch Mitglied von The Rumblers, meinem Autoclub. Er wollte eigentlich auch mal etwas darüber schreiben, denn ihn nervte der ganze Scheiß damals und er stammte auch aus meiner Ära. Ich hab nicht gedacht, das sie den Text jemals veröffentlichen würden. Aber als er gestorben ist, haben sie den Text doch veröffentlicht. Der Text ist jetzt drei Jahre alt und Bruce hat damit einen tollen Job gemacht.

Ich will aber auch keinen niedermachen. Ich verstehe den DIY-Gedanken der Fanzines und weiß, das sie eine große Stütze für die Szene sind. Was ich eigentlich hervorheben wollte, ist das es keine echte Kommunikation in unserer Szene gab. Sie gehörten zur Westcoast und wir zur Eastcoast. Damit hatten sie ein Problem und ich hab einfach nicht verstanden, worum es überhaupt ging. Vielleicht war es umgekehrt auch so, und sie haben uns nicht verstanden. Ich hab das erst gemerkt, als wir mal an der Westküste getourt haben. Dort hatten wir niemanden, der uns den Rücken stärkte, wie in NY. Dort sind die Leute miteinander klar gekommen. Wir haben gelernt uns gegenseitig zu respektieren und wertzuschätzen. NYC ist ein Schmelztiegel , dort gibt es alle möglichen Ethnien und Religionen, aber das spielte in NYC einfach keine Rolle. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll.

Erst an der Westküste habe ich diese ganzen Hate Groups wahrgenommen. Da habe ich verstanden, worüber sie geredet haben. Aber man kann ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen. Sie haben gesagt, wer so und so aussieht muss auch so und so sein. Und das lief falsch. Dann gab es dort diese ganzen Vorwürfe und negativen Einstellungen uns gegenüber, die uns direkt auf unseren Shows bewusst wurden. Und das war nicht fair. Das hat zu Situationen geführt, die gefährlich waren. und wir mussten da durch. All das nur, weil sie Zeugs über uns schrieben, das nicht gestimmt hat.

Was auch völlig verrückt an der ganzen Situation war, ich glaube, ich hab es auch im Buch geschrieben: Wir haben den Typen getroffen, der den ganzen Mist geschrieben hat, haben uns mit ihm hingesetzt und haben mit ihm geredet. Wir hatten den Eindruck, alles wäre wieder cool. Aber die haben immer noch Scheiß über uns erzählt. Wir hatten sogar eine Wette, bei der jemand etwas gewinnen konnte, wenn er ihn erwischt. So war das damals, aber jetzt ist alles ok. Mich beschäftigt das nicht mehr. Das war damals ein Problem, aber wir haben an uns geglaubt, waren immer ehrlich und das hat sich ausgezahlt. Es hat uns auch gezeigt, nicht über andere Bands zu reden, die wir nicht kennen.

Roger und Agnostic Front in Bangkock (Photo by Jörg Baumgarten)

AFL: Du hast ein Buch geschrieben, John Joseph und Harley Flanagan (beide Cro-Mags) haben Bücher geschrieben. Man kann so einen Eindruck von der Lower East Side und NYC in den 1980ern gewinnen. Viele finden das dennoch nicht greifbar und können nicht glauben, was damals abging, besonders wenn sie das NYC von heute sehen. Wie fühlst du dich, wenn du heute in der Lower East Side und NYC bist?

RM: Ich glaube, jeder der so lange wie wir dabei ist, sieht das ähnlich. Das Berlin von heute ist auch nicht dasselbe wie vor 35 Jahren. Die Lower East Side und andere Stadtteile, in denen wir aufgewachsen sind, waren so verdammt arm. Das Ganze sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, Wenn du dir heute die Avenue A, B, C, D, usw. ansiehst, siehst du vielleicht noch ein Gebäude aus der Zeit. Es gehört auch nicht viel dazu, einen Eindruck zu gewinnen. Du musst nicht Harley, John oder mir glauben. Alles ist dokumentiert. Es gibt haufenweise Material aus der Zeit. Schau es dir an. Das ist alles kein Märchen. Wenn ich mir heute die Texte von Victim in Pain anschaue und durch die Lower East Side laufe, finde ich das auch seltsam (lacht) . Es war einfach eine andere Zeit, ein anderer Ort.

AFL: In Kapitel eins schreibst du, dass du nicht nachvollziehen kannst, das Exilkubaner in Kuba lebende Kubaner nicht ausstehen können. Gibt es da immer noch Animositäten?

RM: Nicht in der Punk-Szene. Ich bin mit einigen Punkbands aus Kuba befreundet. Wenn man sich kennt, kann man das Ganze hinter sich lassen. Man muss damit leben, was man hat. In Kuba ist es ein Verbrechen, nicht für Castro zu sein. Du musst aufpassen, was du sagst. Die, die den Mund aufmachen, landen im Gefängnis. Die Exilkubaner verstehen nicht, wie glücklich sie sich schätzen können, in einem freien Land zu leben. In den 1970ern und 1980ern war es ganz schlimm. Da waren Menschen gezwungen auszuwandern. Ich war ein Kind, als meine Mama in die Vereinigten Staaten zog. Ich habe keine Vorurteile.

AFL: Ich fand den körperlichen Missbrauch, denn du und deine Geschwister als Kinder erleiden musste extrem – selbst nach damaligen Maßstäben, als es normal war ab und an mit dem Gürtel geschlagen zu werden. Habt ihr euch jemals einer Therapie oder Beratung unterzogen?

RM: Ich schon. ich glaube, meine Brüder nicht und meine Schwester habe ich nie gefragt. Ich hab die einmal die ganze Familie damit konfrontiert als sie mich in New York besucht haben. Ich ging jahrelang zur Therapie und hab sie gefragt, ob sie mitkommen wollen. Sie kamen. Ein anderthalb Stunde Gruppentherapie mit meiner Familie. Es war sehr interessant. Meine Mutter weinte, sie wollte das alles nicht hören. Besonders was sie damals sagte. Wir redet über ein Haufen Zeug von damals.

Das war auch interessant, als das Buch veröffentlicht wurde. die ersten, die es bekamen, waren meine Verwandten, meine Schwester, meine zwei Brüder und meine Mutter. Ich war mir nicht sicher, wie sie darauf reagieren würden. Ich hatte meine Mutter mal gefragt, wie sie sich fühlt, dass ich auch über sie schreibe. Sie hatte gesagt, ich solle schreiben, was ich wolle, es wäre meine Geschichte. Meine Schwester konnte nicht glauben, was ich da alles geschrieben hatte, war aber froh, dass ich es getan habe. Freddy war ganz begeistert. Seine Frau hat es auch gelesen. Er hat mir eine lange Email geschrieben und meinte, es wäre das beste Buch, dass sie je gelesen haben. Natürlich kannte er alle unsere Familiengeheimnis, aber Freddy war erleichtert. Er war erleichtert, als das Buch rauskam. Ich glaube, jeder hat was davon gehabt. Er wird sich auch den Film angucken. Apropos, ich hoffe, du kannst dir den Film auch bald angucken. Er soll nächstes Jahr (vertraut mir) herauskommen. Für mich war der ganze Schreibprozess sehr therapeutisch.

AFL: Kannst du Wohlfahrtsprogramme, die sich an misshandelte Kinder richten, empfehlen? Engagierst du dich selbst?

RM: Ich selbst habe viele verschiedene Sachen unterstützt, sowohl Bands als auch Organisationen, In NYC habe ich zu Weihnachten Shows mit lediglich 5$ Eintritt auf die Beine gestellt, bei denen die Zuschauer Essen mitbringen konnten. Das Essen habe ich dann an die Odachlosenunterkunft gespendet, wo ich früher auch oft gegessen habe. Auch organisierte ich mehrere Christmas Runs für progredient erkrankte Kinder. Vor kurzem habe ich einen der alten Flyer für eine der Shows im CBGBs wiederentdeckt. Auch ging ich manchmal mit der Gage für meine Shows ins Toys R Us, wo ich zusammen mit Freunden Spielzeug einkaufte, das wir dann später verkleidet als Santa Claus an Kinder verschenkt haben, die nicht mehr lange zu Leben haben. Das war immer ziemlich cool. Ich finde das bringt einem auch selbst was. So Sachen habe ich leider nur früher gemacht. Heute geht das nicht mehr, New York hat sich verändert.

Roger Miret (Photo by Sven Nöhren)

AFL: Im zweiten Teil hast du viel über Raybeez (Warzone) geschrieben. Du hast ihn als einen deiner besten Freunde beschrieben, der aber viel Unsinn im Kopf hatte. Als kriminellen Gangführer und schlechten Musiker. Ist er so geblieben oder hat er sich später verändert (siehe Seiten 72 – 76)?

RM: Oh, ja, später hat er nicht mehr so viele Drogen genommen. Über seine kriminellen Aktivitäten weiß ich nichts. Wir haben uns alle irgendwie geändert, ich meine wir reden über 1997.

AFL: Zufällig ist heute auch der 11. September (Am 11. September 1997 verstarb Raybeez im Alter von nur 35 Jahren an einer Lungenentzündung).

RM: Oh yeah, wir wissen natürlich alle, was für ein tag heute ist. Jedenfalls hat Ray sich in dieser zeit schon verändert und ich mich auch. Bis heute glaube ich nicht, dass irgendeiner von uns wirklich ein guter Musiker ist. Wir sind und waren immer nur eine Bande von Krachmachern. In meinem Buch schreibe ich das ja alles, aber ich war keinen Deut besser. Auch ich war in alles verstrickt.

AFL: Soweit ich mich erinnern kann, war Raybeez immer zu allen ein Freund. War das alles nur für die Show?

RM: Nein, so war er nicht. Niemand von uns war bösartig. Wir haben immer nur versucht anderen zu helfen. Ohne die Hardcore-Szene hätte ich nichts, für mich ist das alles Familie. Es gab so viel Großmut und Hilfsbereitschaft. Wir haben uns nicht so herausgeputzt für die Kameras oder für Interviews, wir waren so. Es war eine echte Freundschaft mit ihm. Wir waren unser eigener kleiner Stamm, einer für alle, alle für einen. Wir haben uns gegenseitig den Rücken gestärkt.

Hier könnt ihr den zweiten Teil des Interviews mit Roger Miret nachlesen:

TEIL 2: INTERVIEW MIT ROGER MIRET

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  • Interview geführt und transkribiert von Franz Haase.
  • Interview ins Deutsche übersetzt von Gripweed.
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