Zeit, den zweiten Teil meiner geplanten Hip-Hop-Trilogie auf diesen Seiten unters Volk zu bringen. Hier muss ich wohl ein bisschen länger ausholen.
Ester Bejarano überlebte als jüdische junge Frau den Holocaust, war inhaftiert in Auschwitz und Ravensbrück. Vor allem geholfen hat ihr dabei die Musik, sie war Mitglied des Mädchenorchesters Auschwitz und kam dann als „Vierteldeutsche“ nach Ravensbrück, wo sie quasi zwangsarisiert wurde. Das bedeutete letztlich nur, dass sie statt dem Judenstern auf einmal den roten Winkeln tragen musste. Dort nahm sie gegen Kriegsende an den berüchtigten Todesmärschen teil, konnte sich aber in alliierte Hände retten. Sie überlebte damit das schlimmste Verbrechen des 20. Jahrhunderts, wenn nicht der gesamten Menschheitsgeschichte. Dies hat sie nicht zur verbitterten Frau gemacht, sondern zu einer starken Persönlichkeit, die sich auch mit 94 Jahren noch artikulieren kann.
Das wäre beeindruckend, aber unter musikalischen Aspekten nicht wirklich bemerkenswert, gäbe es nicht eine Zusammenarbeit mit der Microphone Mafia. Eine sehr seltsame, aber wie wir noch sehen werden, sehr liebevolle Zusammenarbeit. Nun, was hat das mit Punk zu tun? Dazu muss man wissen, das Microphone Mafia vor allem in den 1990er Jahren zur antifaschistischen Szene gehörten, mit Anarchist Academy zusammenarbeiten und auch zu den Gründungsmitgliedern der Arch Huh-AG gehörten. Dazu passend gab es am „Merchandise“-Stand auch das Heft des NSU-Tribunals zu erstehen. Im Inlay sind auch einige Flyer abgedruckt, das ungewöhnliche Projekt trat unter anderem schon mit Slime auf.
Noch ein paar Eckdaten zur Veranstaltung. Diese fand im Bildungszentrum Kirkel statt, die zur Arbeitskammer des Saarlandes gehört. Das Konzert war kostenlos, aber nur per Reservierung besuchbar. Zum Glück erfuhr ich rechtzeitig davon, sonst wäre es mir entgangen. Etwa 150 Leute nahmen an der Veranstaltung teil. Auf der Bühne standen neben Esther Bejarano Microphone-Mafia-MC Kutlu Yurtseven teil. Rossi, der zweite MC, ist schon seit längerem nicht mehr aktiv, da er als Koch kaum Zeit für Auftritte hat. Daneben war noch Esthers Sohn Joram am Konzert teil.
Er war es auch, der seine Mutter zur Bühne begleitete und die Bühne anrichtete. Zunächst bestritt Esther Bejarano den Auftritt nämlich alleine. Sie las aus ihrem Buch Erinnerungen zwei Kapitel, nämlich genau die Passagen, die ich oben zur Einführung kurz zusammengefasst habe. Dabei ist ihre Stimme überraschend sicher und fest. Sie liest ohne Pause und mit angenehmer Betonung. Das Buch ist wirklich sehr zum Empfehlen. Hier ein Link zur Verlagshomepage.
Danach betreten Joram und Kutlu die Bühne. Während Joram eher der stille Part ist und mit der Gitarre das Beatgerüst unterstützt, ist Kutlu nun der Entertainer. Die meisten Ansagen stammen von ihm. Er erzählt von der Zusammenarbeit mit Esther, die er liebevoll „Mutti“ nennt, denn er wurde sozusagen eingenkelt, aber Esther will nicht Oma genannt werden. Er erzählt außerdem von seinem eigenen Weg als „Mensch mit Migrationshintergrund“ im wiedervereinigten, hasserfüllten Deutschland, seinem Beruf als „lehrende Person“, dem Hip-Hop und seinem Engagement bei „Arsch huh“, dem einzig sinnvollen, dass uns BAP jemals hinterlassen hat. Seitenhiebe gab es an dieser Stelle auch auf Kollegah, wobei er es lieber gesehen hätte, die Leute hätten schon wegen Frei.Wild ihre Echos zurückgegeben.
Achso, Musik gabs auch noch. Die 94jährige Rapperin ist natürlich übertrieben. Esther Bejarano rappt nicht, das tut Kutlu (und früher sein Partner Rossi). Esther Bejarano hat auf zwei CDs die Hooks oder längere Passagen eingesungen. Heute tritt sie natürlich vor allem bei den längeren Passagen playback auf, aber bei den Refrains hört man auch ihre jetzige Stimme. Ich denke, das kann man sich mit 94 auch erlauben, ab und an etwas vom Band kommen zu lassen. Musikalisch kann man sich ein dezentes Beatgerüst vorstellen, dazu ein paar Instrumente gesampelt (bis auf die Gitarre). Der Hauptaugenmerk liegt auf den Texten, wobei mal die Raps, mal Esthers Gesang dominiert. Textlich handelt es sich um eine Mischung aus Texten von Esther, alten Arbeiterliedern und Liedern aus dem Widerstand. Einige wird man wohl kennen: Avanti popolo und Bella ciao, Viva la Libertad, Bertolt Brechts Ballade von der Judenhure Marie Sanders, jüdische Lieder, Bearbeitungen alter Songs der Microphone Mafia, dazu auch Höhners Wann jeiht d’r Himmel wieder op inklusive Gesangsanimation.
Am Ende des Auftritts, nach den obligatorischen drei Zugaben, stand Esther Bejarano noch zur Signierstunde bereit. Zum ersten Mal seit einem Blind-Guardian-Gig 1994 habe ich mich in die Schlange eingereiht. Eines der krassesten Konzerte, die ich je besucht habe. Also dann, Avanti o popolo, alla riscossa!
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